6783400-1970_01_16.jpg
Digital In Arbeit

Un-heilige Kinderwelt

Werbung
Werbung
Werbung

Walt Disney, Schöpfer der Micky-Maus und des Donald Duck, wurde im deutschen Sprachraum bei Lebzeiten sehr verschieden bewertet. Bald sah man in seinen Kinderfilmen Und seinen Bildergeschichten, dem Inhalt seiner „auflagenstärksten Kinderzeitschriften der Welt“ einen Ausdruck der entarteten Kunst, „der bewußten Zersetzung der echten Gemütswerte“. Dann wieder erhielt der Comics-Vater in der Adenauer-Zeit einen hohen Verdienstorden für seine Verdienste auf dem Gebiete der Jugenderziehung.

Der Tod Disneys brachte bekanntlich keinen Niedergang seines Unterhaltungsimperiums. Sein Disneyland, diese Spielzeugstadt für Erwachsene, erzielt noch immer Besucherrekorde und gilt je nach Standort des erstaunten Beschauers als Verkörperung der „rührend-naiven“ oder der

„alles für brutales Gewinnstreben mißbrauchenden“ Seite des „American Way of Life“.

Man vernahm es im Vorfeld der fiebrigen deutsehen Wahlen auf phantastischen Tagungen von APO-Leuten, Untergründlern oder Folksingern — die Welt der Micky-Maus wurde endlich ein Politikum! Wie es letzthin der „Spiegel“ belegte, entsetzte sich die CSU-Rechte in Bayern über den geradezu revolutionären Wortschatz, den gewisse Gestalten der

bunten Bildleinigeschichten bei ihren merkwürdigen Auseinandersetzungen im Munde führen. Die jungen Mitglieder von allerlei republikanischen Klubs stießen auf die gleichen Erscheinungen, nur daß sie sie anders bewerteten: Worüber sie die Leute vom rechten Flügel als über eine „unzulässige Politisierung“ der angeblich so unschuldigen Jugend ärgerten, war für sie ein willkommener Beitrag zur „Bewußtseinserweiterung“. „Wer fleißig Micky-Maus-Hefte anschaut“, diesen Satz vernahmen auch wir mehrfach, „der kommt oft rascher zu einer klaren Erkenntnis unseres Gesellschafts -gefüges als der Leser wissenschaftlicher Untersuchungen. Soziologische Forschungen über unsere Zeit, die vielleicht in einem Jahrhundert erscheinen werden, dürfen kaum je die Gedanken in den Comic-Strips

umgehen, da diese Zeitzeugnisse Urkunden ersten Ranges über unser ganzes Dasein sind.“ Es ist kaum anzunehmen, daß die Erfinder und Zeichner der Micky-Mäuse irgendwelche politischen Ziele im Sinn haben könnten. Aber es gibt nun einmal eine tausendfach belegbare Gesetzmäßigkeit: Die Schöpfer der sogenannten „Trivialkunst“, der Werke für früher unvorstellbare Menschenmassen, müssen stets verstandesmäßig oder durch ein sicheres

Gefühl den Weg zu den Herzen ihrer zahllosen Kunden finden. Sie müssen nun einmal, und hätten sie für die Werbung zugunsten ihrer Erzeugnisse auch bedeutende Propagandamittel zu ihrer Verfügung, genau das „verdichten“, was jedes Mitglied der von ihnen unmittelbar angesprochenen Schichten liebt oder befürchtet. Gelingt ihnen dieses Kunststück nicht bei jedem einzelnen ihrer Werke, dann ist ihr ganzes Unternehmen zu einem sehr baldigen Scheitern verurteilt.

*

Im Mittelpunkt der Micky-Maus-Ge-schichte steht schon seit Jahrzehnten kaum mehr die ritterliche Wundermaus selber, sondern das ganze Leben in der Heimatstadt des Enterichs Donald, dessen unbestrittener Herr sein Verwandter Dagobert ist, „der reichste Mann der Welt“.

Es gibt kein Land, wo diesem Krösus nicht Banken, Erdöltürme, Goldminen, Kohlenbergwerke, Fabriken und andere Stützpunkte eines unmeßbaren Reichtums gehören. Als wären die Kinderheftlein nur eine Veranschaulichung eines Bestsellers über die mächtigsten Familien Amerikas, ist Dagobert eigentlich nicht mehr fähig, sein in gewaltigen Betonsilos gehortetes Geld auszugeben. Mag er gelegentlich auch bei Geschäften gewaltige Summen auf den

Ladentisch legen — am Abend strömt alles wieder in seine Banken zurück, da nun einmal so ziemlich alle denkbaren Unternehmungen, auch wenn er es im einzelnen Fall selbstverständlich gar nicht ahnen kann, in seinem Besitze sind ... Trotz diesem dauernd unheimlich wachsenden Überfluß ist aber der große Dagobert der Geiz selber. Wirft er einmal einen Zwanziger in einen Telephonkasten und wählt dann eine falsche Nummer, so redet er gleichwohl mit dem Unbekannten auf der anderen Seite des Drahtes volle drei Minuten — nur um keinen Rappen zu verschwenden. Von seinem bedürftigen Verwandten Donald verlangt er in jeder Geschichte unvorstellbare Herkulesarbeiten — ohne ihm die für das nackte Leben notwendigen Mittel zu gewähren. Den gewaltigen Erfinder Daniel Düsentrieb, offensichtlich ebenfalls einen Verwandten, begaunert er wöchentlich um die Früchte seiner bahnbrechenden Entdeckungen, die Dagobert natürlich pünktlich neue Billiarden (!) einbringen. Damit es dieser Welt nicht an Spannung gebricht, erscheinen Nacht um Nacht furchtbare Feindesscharen, die dem „reichsten Mann der Welt“ seinen Besitz entreißen und damit „die Macht übernehmen“ wollen. Da ist zum Beispiel eine ebenfalls zur Entensippe gehörende, mit unvorstellbaren Zauberkräften begabte Hexe. Sie lechzt nach dem ersten von Dagobert „selbstverdienten“ Pfennig, da in ihm das „magische Geheimnis“ seiner ganzen Herrschaft stecken soll.

*

Mag der Bereicherungstrieb des Dagobert Duck auf Kosten der Allgemeinheit noch so überborden und eigentlich Glück und Leben ganzer Völker unbeschwert auf eine Karte setzen, mögen seine Gegner, die Herren der uniformierten Panzerknackergang, ihre Ziele sogar mit supermodernen Waffen (zum Beispiel Weltraumraketen, Zeitmaschinen!) anstreben — keine staatliche Macht ist neben ihnen da, um irgendwelchen Ordnungsparagraphen ein wenig Nachachtung zu verschaffen. In großer Zahl erscheinen zwar auf den Bildern blaugekleidete Polizisten — wie beschränkt ist aber ihr Auf-gabenkreis! Sie stehen etwa an den Straßenecken und bestrafen Ge-

schwindigkeitsüberschreitungen, jagen nach herrenlosen Katzen und Hunden oder schlagen gelegentlich den Falschen zusammen, meistens selbstverständlich den ewigen Hungerleider und Pechvogel Donald Duck.

Gegen die von keiner Rücksicht beschwerten wirtschaftlichen Piraterien des allmächtigen Dagobert sind sie aber gleichermaßen blind, wie sie nie in der Nähe sind, wenn die rotgekleideten Panzerknacker zu

ihren Aktionen gegen den Besitz ausholen,

Dagobert bewahrt seine Milliarden nur durch eigene Sicherheitskräfte, mit Hilfe des naiven Donald, bezahlter Söldner und vom genialen Düsentrieb hergestellten Robotermaschinen. Die Panzerknacker, nach jedem Abenteuer hinter Gitter ge-

bracht, marschieren trotz Polizeiwachen sofort wieder hinaus, kaum daß Dagobert und Donald ihnen den Rücken gekehrt haben. In neuen Kindermärchen der Micky-Maus-Hefte gibt es keinen lieben Gott mehr, der unerkannt durch die Welt schreitet, um die gestörte Ordnung wiederherzustellen. Es gibt hier auch kein gutes Königspaar, das am Ende Gerechtigkeit spricht und alle ,,Bösen“ der verdienten Strafe übergibt. In der nur auf den ersten

Blick harmlosen Welt von Disneyland prallen vollkommen asoziale Machtwillen erbarmungslos aufeinander.

*

Es ist nur der arme, keine Donald, der sich mit nie belohnter Herzensgüte zwischen die Fronten wirft und (eigentlich stets zu seinem eigenen Schaden!) Tag um Tag verhindert, daß die Geschichten von Donaldville die schlimmsten von den denkbaren Verläufen nehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung