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Neue Gedichte

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Ich kann nicht wie jene Helden auf Schrein, denen alles Leben absurd ist und jeder Tod.

Ich darf nicht mit den Besessenen rennen, nur fort aus dem Heute. Ich will nicht, meine Angst zu verscheuchen, mit Worten herumknallen, ein literarischer

Amokläufer. Ich habe keine Wunderdroge anzubieten, für die rechten nicht, nicht für die linken Händler mit Geist,

nicht wie die Zauberer totaler Sicherheit,

wie die perfekten Verzweifler.

Ich baue den romantischen Knaben

keine Hütte, darin sie

ungehemmt durch Herz und Seele

ihre traurigen Texte zimmern

und den Vorbeigängern nachschimpfen.

Auch beim Wettsingen der Kyberneten,

beim Wettlauf um die Goldmedaille

für den originellsten Selbsterlöser

habe ich Startverbot. t

Einer, der Gott noch beim Namen nennt,

ist kein reiner Amateur.

★

Täglich im Buch der Untaten lesen, im unbegreifbaren Schuldbuch unseres Jahrhunderts,

wo die alten schönen Lieder wieder locken,

der sanfte Wind des Vergessens.

Die Untaten großer und kleiner Tyrannen

sind darin verzeichnet,

aller Eiferer, Scharlatane und Narren,

der Götzendiener, der Übergerechten,

der Ichkranken, der Gemeinschaftsverbrecher,

aller Fanatiker, Rechthaber, Formelsadisten.

Im Osten, im Westen,

im Norden, im Süden,

in der Mitte:

Kriege, Morde, Massenmorde.

Menschenschlachthäuser, perfekt betrieben

von Proleten, von Faschisten,

zum Ruhm der Nation,

dem Blutgott zu Ehren,

einer Rasse, einer Klasse,

zum Hochfest der Gleichheit,

im Namen der Gerechtigkeit,

zy. Ehren des Vaterlandes,

für die Freiheit aller Geschlechter nach uns,

daß die Erde uns wieder werde zum Paradies.

Ich habe daneben geschlafen, geträumt,

gegessen, getrunken, Liebeslieder gesungen,

Kirschbäume gesetzt, Gras gesät.

Dazwischen bin ich mit den Brüllern gelaufen,

hinter Musikanten her, mit Betrunkenen,

neben den Fabriken des Todes

am Eismeer, in der Taiga,

vor unserer Stadt, drüberm Strom.

Nimm das Buch fort,

schlag es zu, Herr!

Vergrab es im Mantel Deiner Barmherzigkeit!

Sie ist größer als alle unsere Untaten,

auch als unser Starrsinn.

Ich kann das Buch nicht vergraben,

ich lese jede freie Stunde darin,

jede unfreie,

ich kann es seitenweise auswendig, Herr.

Nicht allein meine eigenen Schandtaten,

meine Gedankensünden.

Was ich tu, wenn Du es fortnimmst,

den Mantel Deiner Barmherzigkeit darüberwirfst,

den Zaubermantel, darunter unsere Sünden

verschwinden? Was fang ich einsamer Lobsänger an, ohne das Buch der Schrecknisse vor meinen

Augen?

Vielleicht wird unser Geschlecht reif für die

Wahrheit, auch für Deine Wirklichkeit, Herr! *

Was wir einander auch antun und Dir, Herr, in uns, erspar mir dennoch das Tollhaus nicht! Wie soll ich einen Bruder trösten, ihm die Herrlichkeit Deiner Erde verkünden, wenn ich seine Tollheit nicht kenne, auch die meine, nicht den gigantischen Irrsinn der Tyrannen und Mechaniker, der Experten und aller Realisten?! *

Unter dem Sehlag riesiger Flügel

tönt mein Blut.

Ich sehe sie nicht;

ich weiß nicht, wem sie zugehören,

ob der Flügelschläger mich gemeint hat,

den morschen Kirschbaum,

die abgeblühten Anemonen,

die vorlaute Amsel.

Mein altes Herz zittert nur,

daß es wiederkehrt.

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