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Der Narr und der Tod

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Der Herzog gab einen großen Maskenball, und alles, was jung, schön und reich war, kam als Gast. Das Fest war über alle Maßen prächtig. Unter dem Glanz vieler tausender Kerzen, die in goldenen Kandelabern staken, drängte sich da bunte Gewühl der Maskierten, Könige, Eremiten, ein Kaiser, Kolombinen und Pierrots, Bauern und Chinesen. Mehrere Musikkapellen spielten, und der Wein ließ die Freude und Ausgelassenheit höher und höher steigen.

Niemand merkte es, als sich, während der Jubel toste, die Türe langsam öffnete und eine Maske, die sich scheinbar verspätet hatte, in den Saal trat. Erst als sie gemessenen Schrittes die Mitte des Raumes erreicht hatte, sah man auf, und jogieich wurden Rufe des Unwillens und der Empörung laut über die unpassende und verfehlte Art, in der sich der späte Gast, den zudem niemand kannte, kostümiert hatte. Der Herzog, mit Verdruß die Störung seines Festes be-, merkend, eilte selbst herbei und wollte, schon ein wenig berauscht, dem Fremden die Türe weisen. Aber der sah ihn an, hob schweigend die Hand und der Herzog sank lautlos zu Boden.

Durch erstarrte Reihen schritt der Tod, stumm und ohne daß ein Schatten zu seinen Füßen war. Zu seinen beiden Seiten fielen leblos vor seiner erhobenen Hand die Masken, der Kaiser und die Bauern, die Könige und Chinesen, Kolombine und Pierrot, die Trompeter, der Trommler und der Klarinettist. Hin und wieder schritt der fremde Tod, bis sich nichts mehr im Palaste rührte. Dann stand er still und sah um sich. Nichts Lebendes regte sich, nur ein leiser und heitrer Ton schwebte über dem buntscheckigen Leichenhaufen und traf das Ohr des Todes.

Er ging ihm nach, und da saß inmitten lebloser Larven einer an der Wand und spielte ungerührt und unbekümmert auf einer kleinen Flöte.

Verwundert hob der Tod noch einmal seine Hand, aber der langsame Ton klang ruhig fort. Da sagte der Tod: „Ach, du bist ja der Narr...“ Und jener setzte endlich seine Flöte ab und stand auf, und der Tod und der Narr schüttelten sich ernsthaft die Hand.

Der Tod ging, wie er gekommen war, lautlos, und ohne daß ein Schatten zu seinen Füßen war. Der Narr aber setzte sich wiede an die Wand, führte seine kleine Flöte an die Lippen und spielte ...

Der Tod ging auf die Landstraße, das tote Schloß, dessen Lichter weit in die Nacht schimmerten, in seinem Rücken, und an der Wegkreuzung holte ihn der Narr ein.

„Da bist du wieder, Bruder Narr“, sprach der Tod. „Bin ich dein Bruder?“ frug der Narr. „Wie solltest du es nicht sein, 'da du, unsterblich •wie ich, mit mir an der Grenze des Lebens stehst, und hinter unserem Rücken das Unbekannte ist?“ antwortete der Tod. „Du magst recht haben“, sagte wieder der Narr, „ich will mit dir gehen und du magst mir das Endliche im Unendlichen zeigen.“

Und sie gingen gemeinsam, der Tod und der Narr, und kamen zu dem einen Ende der Welt.

Da standen sie, eine große graue Masse, Kopf an Kopf, alle einander sehr ähnlich, geduldig und die Schultern müde vornübergebeugt. „Das sind die Menschen“, hob der Tod wieder an, „und sie warten auf Ihn, den Herrn der Nacht und des Dunkels, der ihr Gott ist und den man Satan nennt, daß er zu ihnen komme von Mitternacht. Sieh, da schreitet er heran mit traurigen Augen, er kommt aus dem Dunkeln, schlank und groß, und auf seiner Stirn leuchtet die silberne Mondsichel, und die dort legen die Hände aufs Herz und Mann für Mann verneigen sich vor ihm, und er hebt seine Arme und spricht:

„Sehet mich, den ihr euren Herrn nennt und der ich. doch einer von euch bin. Wahrlich, ich weiß in euch zu lesen wie in einem Buch, und eure Gesichtszüge sind wie Buchstaben für mich. An den Abenden breite ich meine großen, schwarzen Flügel und schwebe über die grundlosen Seen eurer Seelen, über ihre Schluchten und finsteren Wälder, in die das Licht nicht dringt, und ich sage euch, ich sehe die ungeborenen Wünsche und fehlgeborenen Gedanken, die sich in ihren Schächten verbergen, wie unförmige, blinde Tiere, deren Namen man nicht zu nennen wagt. Jener, den.ihr den Herrn des ewigen Lebens nennt, er kennt eure Gedanken und euer Herz, aber ich allein kenne eure Sehnsüchte und eure Seele und all das, was noch tief darunter liegt, denn ich bin der Herr des Dunkels und des Vergessens, der Herr der Ewigkeit, die wie nichts ist. Folget mir und ich werde euch die Ruhe geben und den Schlaf, der niemals aufhört...“

Und er wendete sich um und schritt gegen Mitternacht, schlank und groß, und die silberne Mondsichel auf seiner Stirn leuchtete. Sie folgten ihm, der ihr Gott ist und den man den Satan nennt, sie folgten ihm alle', und das Dunkel, das wie Ewigkeit und wie nichts ist, verschlingt sie, einen nach dem andern und Mann für Mann.. ■

„Laß uns weitergehen“, sagte der Narr zum Tode, und sie gingen und kamen an den anderen Rand der Welt und aus der Finsternis in das Licht. Sie gelangten vor dem Thron Gottes, und der Narr und der Tod fielen auf die Knie und beteten Ihn an. Gott aber sah den Narren und sprach: „Du bist meinen Augen -wohlgefällig und ich liebe dich. Du magst hier bleiben und auf den Stufen meines Thrones sitzen.“

Der Narr aber hob sein Gesicht, sah Gott und bat: „O Herr, Du weißt, daß ich Dein treuester Diener bin, aber laß es mich auf Erden sein, laß mich das Doppeldeutige und Zwiespältige erkennen und ich werde es klären und die Teile scheiden, zu Deinem Ruhm und um Deine Macht zu erhöhen.“* Gott gewährte es lächelnden Mundes, ließ ihn ziehen, und so kam der Narr wieder auf die Erde zurück und wird niemals sterben, denn Gott ist sein Herr und der Tod ist sein Bruder. Gib acht und du wirst ihn sehen, hier und dort und manchmal wird auch sein Bruder nicht weit sein, und er wird unvermutet um eine Ecke biegen und da sein und auf seiner kleinen Flöte ein Lied spielen... -

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