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Orte, wo man aufatmen kann

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Man kann wieder unbefangen von „Seele” reden. Die Vorstellung eines Leib-Seele-Dualismus scheint langsam der Vergangenheit anzugehören.

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Man kann wieder unbefangen von „Seele” reden. Die Vorstellung eines Leib-Seele-Dualismus scheint langsam der Vergangenheit anzugehören.

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In der christlichen Frömmigkeitsgeschichte herrschte die Vorstellung eines Leib-Seele-Dualismus vor. Der wahre Mensch war in dieser Vorstellungswelt der Mensch abzüglich seines Leibes. In der nach innen und zum göttlichen Licht gewandten unsterblichen „Seele” sah man das eigentliche Zentrum des Menschen. Dem jenseitigen Heil dieser Seele galt die Seelsorge. Im neu gewonnenen Bewußtsein, daß die Sorge Gottes der ganzen Schöpfung gilt, wurde das Reden vom „Seelenheil” problematisch. Aus der Seelsorge wurde die Pastoral, die sich um den Menschen in all seinen Lebensbezügen sorgt.

Es scheint aber, daß die „Seele” in den kirchlichen und gesellschaftlichen Raum zurückkehrt. Es ist nicht mehr die gleiche „Seele”, wie zu der Zeit, als es hieß „Rette deine Seele!” Sie kommt nicht als selbständige Größe, sondern als etwas, was in allem „steckt” oder was als fehlend erlebt wird. Die „Seele” äußert sich in der Suche nach der „Wärme im kühlen Rlick” unserer Lebensverhältnisse. Sie ist der menschliche Innenraum, der wohl von den äußeren Verhältnissen geformt wird, aber nicht restlos. „Seele” ist ein Name für das Nicht-Reduzierbare.

Alle Versuche - ob psychologisch, psychoanalytisch, philosophisch oder soziologisch die Seele zu begreifen, greifen zu kurz. „Vielleicht ist die Seele eine Metapher für das Leben, den Menschen, für eine Bewegung über den Menschen hinaus zum Tier, zur Pflanze, zum Anderen.” (Christoph Wulf) Die „Seele” ist nirgendwo und überall zu Hause. Deshalb gilt: „Wer von der Seele sprechen will, muß von etwas anderem reden.” Wer von der Seele eines Menschen sprechen will, muß reden - zum Beispiel - von seinem Gang. Muß reden von den Augen dieses Menschen, von seiner Stimme oder von seinem Lachen.

„Wer von der Seele sprechen will, muß von etwas anderem reden.” Das gilt auch, wenn man fragt, ob ein Bildungshaus „Tankstelle” für die Seele sein kann. Man muß von anderem reden. Zum Beispiel von Architektur.

Dorothee Solle hat in einem Artikel mit dem Titel „Die vermauerte Gnade” geschrieben: „Eine gnadenlose Wirklichkeit: ohne Schlupfwinkel (wie in alten Häusern unter der Treppe), ohne Dunkel, ohne Schutz; und im Büro, Universität, Strafanstalt und Privatzimmer das gleiche: die totale Funktionalisierung. Der Gott, den diese Architektur ausdrückt und verherrlicht, kennt keine Gnade, weil Gnade eine Art ,Dysfunktionalität' bedeutet.” Gäste und Referenten sagen mir immer, sie würden in unserem Haus aufatmen. Wahrscheinlich hat diese Seelenregung auch damit zu tun, daß unser Haus aus einem Schloß und Neubauten aus unterschiedlichen Epochen besteht. Es ist nicht einheitlich „durchgestylt”. Ob „corporate identity” der Seele gut tut?

„Wer von der Seele spricht, muß von etwas anderem reden.” Zum Beispiel von Baumaterial, von Beleuchtung und Akustik. Von der Größe und Ausstattung der Räume. Bauen und Einrichten ist Seelenarbeit. Man muß vom Blumenschmuck reden und von den Bildern. Manche Gäste nehmen frische Blumen in einem Tagungsraum als Zeichen der Aufmerksamkeit wahr. Selbst wenn es nur eine einzige Blume ist. Ich bin überzeugt, daß es eine Auswirkung auf die Seele hat, wenn man in einem Haus Kunstwerken im Original begegnet. Ich sagte bewußt: begegnet. Die Seele braucht Freiheit, sie verträgt keinen Druck, auch keinen Kunst-Druck.

Wer von der Seele spricht, muß von der Ordnung und Organisation eines Hauses reden. Der Seele tut es gut, wenn ich als Person mit Namen wahrgenommen werde, wenn ich Gesichtern begegne und nicht einer perfekten, aber gesichtslosen Bürokratie. Deshalb gilt in unserem Haus zum Beispiel die Maxime: möglichst wenige Automaten! Wer ins Haus kommt - auch mit Verspätung - soll spüren: ich bin willkommen. Ob das erlebbar ist, hängt wesentlich vom Personal des Hauses ab. Wie wichtig für die „Seelenarbeit” eines Hauses die Angestellten sind, davon reden die Gäste, und das weiß auch die Leitung des Hauses. Es gilt, was Eduard Ploier bei seinem Abschied als Direktor gesagt hat: „Mögen muaß ma d'Leut, mögen!” Ob es wirklich so ist, spürt die Seele derer, die in ein Haus kommen. Ob sich die Seele von Menschen in einem Haus öffnet, das hängt auch von der buchstäblichen Offenheit des

Hauses ab. In unserem Haus sind die Tagungsräume nie versperrt, auch nicht die Zugänge zur Küche und zum Keller. In der Bar ist Selbstbedienung, und das Geld liegt in offenen Körbchen. Wir sind bis jetzt bei dieser Praxis geblieben, weil sie ein nicht unwichtiger Beitrag zu einer Atmosphäre des Vertrauens ist.

Wenn man von der Seele spricht, muß man auch vom Ort des Gebetes und der Liturgie in einem Bildungshaus sprechen. Unsere Kapelle befindet sich an einem unauffälligen, aber zentralen Platz der ganzen Anlage.

Was Reiner Kunze über ein Pfarrhaus geschrieben hat, beziehe ich auch auf unser Rildungshaus: „Wer da bedrängt ist findet / mauern, ein / dach und /muß nicht beten.”

Es scheint mir wichtig, daß Gäste in einem kirchlichen Haus nicht verdeckte Ansprüche spüren. Wer ins Haus kommt, muß nicht beten und muß nicht die Liturgie mitfeiern. Mir ist es aber wichtig, daß es diesen Ort gibt, an dem gebetet wird und an dem Liturgie gefeiert wird. Manchmal sind es zwei oder drei Personen, die dabei sind, oft 50 oder 60, selten alle, die im Haus sind. Für das Haus ist es wichtig, daß es geschieht. Es gehört zur Seele des Hauses.

„Wer von der Seele spricht, muß von etwas anderem reden.” Ich habe nur vom Haus geredet und nicht von den Rildungsveranstaltungen, die sich ausdrücklich auf die Seele beziehen. Daß solche Veranstaltungen eine „Tankstelle” für die Seele sein können, ist wohl selbstverständlich. Ich erfahre aber von nicht wenigen Menschen, daß sie unser Rildungshaus als „Obdach für die Seele” erleben, obwohl sie gar nicht wegen ihrer Seele gekommen sind. Offensichtlich hängt ein solches Erlebnis auch damit zusammen, daß man in Bildungshäusern Menschen trifft, die seelisch besonders wach sind. ,jSeele” ist wahrscheinlich ansteckend.

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