6679977-1961_39_08.jpg
Digital In Arbeit

Für den „Bruder Leib“

Werbung
Werbung
Werbung

Allmächtiger und barmherziger Gott, halte gnädig alles Unheil von uns fern, damit wir, art Leib und Seele unbehindert, mit freiem Herzen Deinem Dienste obliegen.

(Kirchengebet vom 19. Sonntag nach Pfingsten.;

Wir haben für alle Ewigkeit einen Bruder unserer Seele, den Leib. Und wir werden ihn nach der vorübergehenden Trennung im Tode dereinst wieder haben. Das ist fester Christenglaube. Jeder Bischof bezeugt ihn unmittelbar vor seiner Weihe mit feierlichem Bekenntniswort: „Ich glaube, dafj ich in diesem meinem Leibe wieder aufersfehen werde". Es gibt nun keinen Gott wohlgefälligen Dienst, der in der bewufjten Zerstörung dieses Leibes besteht. Nur wenn es die unmittelbare und letzte Zeugenschaft, das blutige Martyrium, verlangt, dann haben wir in der Nachfolge Christi mit dem geschundenen und im vermeintlichen Tode zerstörten Leib zu bekennen. Im normalen Leben des Christen aber ist der Leib der natürliche Träger, das natürliche Instrument des Denkens, Redens und Handelns. Was immer wir an Gutem und Heiligem in uns als Drang und Absicht spüren, wir können es in der Regel nur verwirklichen, wenn wir im Besitz unserer leiblichen Kräfte sind, wenn wir klar zu denken vermögen, ohne in unseren Sinnen getrübt zu sein, wenn wir Worte zu formen vermögen, wenn wir uns bewegen und arbeiten können. Wir wissen, dal; Gott uns aus unerforschlichen Gründen eine oder mehrere dieser Fähigkeiten auf Zeit oder für immer entziehen kann und dafj wir auch das ertragen müssen, obwohl es vielleicht das für den Menschen Schwerste ist. Der Dulder Job ertrug den Verlust aller Habe und seiner Familie in Demut. Aber als er an seinem Leib gepeinigt wurde, brach er in wilde Verzweiflung aus.

Wir haben nach dem Blick auf den hilflosen, gemarterten Leib des Gekreuzigten zwar kein Recht mehr, zu verzweifeln und dem Himmel zu fluchen. Aber wir haben das Recht, inständig und zuversichtlich zu beten, dafj unserem Leib das Unheil abgewendet werde, dessen furchtbarste Seite die Hilflosigkeit ist. Gewifj lehrt uns die Moraltheologie, dafj es dort weder Sünde noch sündhafte Unterlassungen geben kann, wo die körperlichen Fähigkeiten ahne eigene Schuld gestört sind. Aber tröste uns einer damit, wenn wir uns getrieben fühlen, etwas zu durchdenken und uns quälender Kopfschmerz daran hindert, wenn wir laufen und helfen, sprechen und hören möchten und in den Fesseln der Krankheit und Ohnmacht liegen. Von der „Aufopferung der Schmerzen” redet es sich in gesunden Tagen leicht, aber es wird unter uns kaum einen geben, der dies vermag, ohne durch die Nacht aufbäumender Verzweiflung oder des Haders mit einem dunklen Gott gegangen zu sein. Das Jahr schwindet um uns, die Lebenskräfte der Natur scheinen zu versiegen. Eine unerklärliche Bangnis erfaßt viele, wenn sie in den späten Herbst hineinsehen. Legen wir diese elementare Sorge in unser Gebet.

Machen wir uns nicht heroischer als wir eben sein können. Ja, auch um unseren Leib beten wir, um unsere Gesundheit und Lebenskraft, weil sonst das Wenige an Gutem, zu dem wir uns fähig fühlen, vielleicht ungetan bleiben müfjte und wir uns nicht stark genug wissen, selbst in der Lähmung noch Gott zu preisen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung