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Ostermorgen

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Die Nacht lag über dem Karst. Ihre Finsternis erhellten wie Wetterleuchten die am Horizonte aufsteigenden Raketen dei italienischen Front. Vom nahen Meere het wehte ein sanfter Frühlingswind über die Lorbeer- und Myrthenbüsche und über das weiße Gestein, dessen Trümmer in dem fahlen Lichte wie tausende Leichensteine leuchteten. Er trug einen feinen, süßen Duft mit sich. Denn es1 war Osterzeit und am Meere blühten schon die Rosen und Glyzinien. Irgendwoher aus der undurchdringlichen, dunklen Tiefe des Tales vernahm man das Gestampfe von Motorkolonnen, die zur Front zogen. Dazwischen bellten unsichtbare Geschütze, als ob ein Ungeheuer sich zwischen den Höhlen des wüsten Berglandes verkrochen habe und hungrig der Beute warte, die es verschlingen möchte.

Ich war auf dem Marsche zu dem ungarischen Regimentskommando, das dort voran in den Felsen vergraben lag. Die Luft dieser Osternacht war von seltsamen Geräuschen, geisterhaften Stimmen erfüllt; flatternd und surrend, wie zornige Nachtvögel zogen dann und wann die Sprengstücke von Granaten über die Straße. Man hörte nicht den eigenen Schritt, denn handhoch lag der Staub auf der Straße, die sich als ein graues Band in die Finsternis bohrte. Furchtbare Schicksale barg diese Finsternis, den Tod, der in tausend Gestalten durch die blutgetränkte Steinwüste wandelte und seine Schrecken bis in ferne Hütten sandte.

Da — was war das? Eine dunkle Masse, unbestimmt in dem flackernden Lichte der Rakete, tauchte vor mir, hingestreckt auf der Erde, aus dem Grau des Straßenstaubes. — Ein gefallenes Pferd. Und daneben liegt ein Mensch. An der Uniform erkenne ich im Scheine meiner Taschenlampe einen bosnischen Soldaten. Er hält den Hals des sterbenden Tieres umschlungen. Ist er tot? Nein, er lebt — er weint!

„Du Guter, nun wirst du mich verlassen“, klagt er in seinen weichen heimatlichen Lau-ten. „Nun wirst du unser Dorf nicht wiedersehen, mein armes Tier. — O Gott, o Gott!

Der Klagende beachtet mich nicht, als ich nähertrete, er hört nicht meine tröstenden Worte. Weinend streichelt er die Mähne de Tieres. Ueber ihm heulen Granaten, links der Straße ist eine Haubitzenbatterie herangepoltert, und das Mündungsfeuer ihrer Geschütze reckt brüllend seine roten Zungen in die unheimliche Nacht. Ihn kümmert es nicht. Er hat die ganze Welt vergessen in dem Schmerze um sein sterbendes Tier.

Als ich in den langsam dämmernden Morgen hineinschritt, hörte ich hinter mir noch die Stimme des bosnischen Bauers, der um den treuen Gefährten aus der Heimat klagte.

Das Geschützfeuer erstarb. Still und feierlich wurde es um mich her. Der Rand des Himmels färbte sich rot und gelb. Schmale Lichtbündel stiegen aus der Tiefe empor. In den Niederungen der Berge, in den tiefeingesenkten Schluchten, in denen das Leben unzähliger Regimenter erloschen war, wallte weißer Nebel. Immer breiter und breiter wurde der goldene Riß am Horizonte. Es strömte das erste Licht in das dunkle Land. Die Wolken formten sich zu einer himmlischen Gloriole. Es war mir, als ob sich die Gestalten anbetender Engel formten und aus dem strahlenden Lichte der Auferstandene erschiene, und seine Wundmale noch heller leuchteten als die frühe Sonne. Und auf die von Kampf und Streit, von Ehrgeiz und Haß, von Trotz und Grausamkeit zerrissene Erde töne eine göttliche Stimme herab:

„Ich, der Sohn des Allerbarmers, habe aus Liebe zu euch am Kreuze gelitten. Wann werdet ihr Mächtigen dieser Menschheit Erbarmen haben mit dem armen Volke?“

In dieser majestätischen Stunde schien es mir, als ob der arme bosnische Bauer Gott näher gewesen sei als mancher der unerbittlichen Herrscher, deren Ruhm die Welt verkündete.

Siegreich über die Nacht stieg der Ostertag herauf ..,

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