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Reaktionen? Aktion!

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REAKTIONEN. Essay zur Literatur. Von Herbert Eiaenreich. Sigbert-Mohn-Verla , 1964. 338 Selten, Frei 38 DM.

„Reaktionen.” Dieses Wort hat Herbert Eisenreich über eine Auswahl seiner literarischen Essays aus den letzten zwölf Jahren geschrieben. Heftige und temperamentvolle, bittere und mitunter auch ein wenig böse Reaktionen eines wachen Geistes auf seine Umwelt sind die Aufsätze des bekannten österreichischen Schriftstellers.

Herbert Eisenreich, der zurückgezogen in Sandl am Wald (Oberösterreich) lebt, ist „engagierter” als so mancher im Literaturbetrieb der großen Städten agierende Poet. Engagiert und interessiert an den Fragen, die uns unsere Zeit stellt, an den Problemen, mit denen sich unsere Generation konfrontiert sieht. Das kommt in den vorliegenden Essays deutlich zum Ausdruck. Gleichgültig, ob sich ihr Verfasser mit „Biedermeierdämonen” (unter diesem Titel verbirgt sich eine Studie über Herzmanowsky- Orlando und seine Welt) auseinandersetzt, ob er das Phänomen Nestroy mit von Sigmund Freud geschultem Blick analysiert oder dem toten Freund Kurt Absolon einen literarischen Krafiz windet — immer werden wir auf . treffsichere. - pointierte Bemerkungen zur Zeit und ihrem (Un-) Geist stoßen. Nur wenn der Verfasser über Heimito von Doderer spricht und über den Verfasser der „Strudelhofstiege” und der „Dämonen” schreibt, wird die ätzende, reinigende Lauge, in die er mitunter seine Feder zu tauchen beliebt, vom Tisch gestellt. Hier ist er ein echter Jünger, der seinem Meister die Reverenz erweist.

In keinem anderen Aufsatz aber ist Herbert Eisenreich (Jahrgang 1925) so legitimer und durch persönliches Schicksal legitimierter Sprecher seiner Generation in Österreich wie in dem Vortrag „Das schöpferische Mißtrauen oder: Ist Österreichs Literatur eine österreichische Literatur?” Hier ist er auch Bekenner und Kämpfer. Vor allen Dingen aber ein Österreicher, der daran leidet, wie sich unser Land heute in der Welt repräsentiert beziehungsweise nicht repräsentiert.

„Wir wehren uns gegen den Chauvinismus, gegen die amtliche Versicherung, alles Eigene sei gut und alles Fremde sei schlecht, und wir wehren uns ebenso gegen die totale oder partikuläre Internationalisierung; denn das eine wie das andere bedeutet den Verzicht auf.die nationale Individualität, aus der heraus allein die Voraussetzungen entstehen, daß eine bewußtseinsmäßige Gemeinschaft nicht bloß eine Provinz der einen Welt bildet, sondern wahrhaft teil hat an dem gemeinsamen Ganzen: als ein produktives Mitglied einer höheren Ordnung.” (S. 99)

Und wenige Zeilen später lesen wir einen Satz, dem durch verschiedene Diskussionen der letzten Monate Aktualität nicht abzusprechen ist:

„Der Verzicht auf Nationalität zugunsten der Angleichung und Internationalisierung stellt sich letzten Endes als Provinzialisierung heraus.” (S. 100)

Damit hat aber der Verfasser auch schon den Standort, auf dem er und jene stehen, in deren Namen er spricht, bekannt. Es ist der gemeinsame Nenner jener Generation, die gleichzeitig mit dem wiedergeborenen Vaterland 1945 angetreten ist: „Sie ist nicht konservativ, aber sie besinnt sich auf die Tradition” (S. 83).

Man merkt es vielleicht schon an diesen kleinen Proben. Was Herbert Eisenreich hier 1959 formuliert hat, ist eine „Rede über Österreich”, der in der Gegenwart und noch mehr wahrscheinlich in der Zukunft einmal dieselbe Bedeutung zugemessen werden wird, die Anton Wildgans’ bekannte Rede in der Zwischenkriegszeit erlangt hat. Als Sonderdruck gehört sie aber schon heute in die Hände einer Jugend, die morgen die geistigen Träger Österreichs sein werden.

So könnte aus Herbert Eisenreichs „Reaktionen” eine österreichische Aktion werden.

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