6646950-1958_29_14.jpg
Digital In Arbeit

ROMAN EINES SCHWINDLERS

Werbung
Werbung
Werbung

DIE CHRONIK DES FILMS hat in mitteilsamen Plauderstündchen zwei Sascha-Namen auf den Lippen: den der österreichischen Lokalberühmtheit, Sascha Kolowrat, und den der mondialen (... demimondialen) Größe Sacha Guitry.

Mit Rußland verbindet den böhmischen Grafen nicht nur der süffige Vorname, sondern auch seine Ehe mit einer bildschönen Bojarenprinzessin; den französischen Sacha — entgegen anderen lexikalischen Behauptungen — nur die fast zufällige Geburt im damaligen Petrograd, am 21. Februar 1885, und die ersten fünf Winter seines Lebens dortselbst. Viel mehr gemeinsam ist beiden die unbändige Schaffenslust, Lebenslust und Genußfreude, die sich bei Sacha Guitry unter anderem im rasanten Konsum von fünf bürgerlich angetrauten Lebensgemeinschaften ausdrückte; beiden gemeinsam aber auch ein jammervoller Siechentod: Sacha Guitry starb vor Jahresfrist, am 24. Juli 1957, in einer folterartigen Heinrich Heineschen „Matratzengruft“, im Rollstuhl (wie seine große Landsmännin Colette), von da aus noch die beiden letzten Filme 1955 und 1956 dirigierend, ein Wrack von Haut und Knochen, gepeinigt von (wie er zu Charles Ford einmal sagte) „Zahnschmerzen in jedem Knochen seines Körpers“.

SACHA GUITRY IST ERBLICH BEGABT UND BELASTET: Der Vater, Lucien, ein berühmter Schauspieler, die Mutter, Tochter eines berühmten Offiziers, Militärschriftstellers und Diplomaten (Rene de Pont-Jest). Das kann nicht gut ausgehen. Die Scheidung der Eltern, wie die vielumstrittene Ausnahmemoral des Künstlervölkchens überhaupt, träufeln früh Gift in die empfängliche, hin und her gezerrte Seele des Kindes: es reagiert frühreif, unreif “ darauf mit einem zynischen, ätzenden Amoralismus und einem pubertätserotischen Rabauken-tum — genau zwölf Internate feuern den Gymnasiasten in Tag-und-Nacht-Fließbandarbeit entsetzt hinaus.

Sacha aber hat dabei etwas fürs Leben abbekommen: seine mehr als 120 Theaterstücke und 27 Filme, seine Romane und Apercus sind nicht eben ein Tugendspiegel oder Dekalog. Aber das haben ihm seine Landsleute längst, wenn nicht gleich, verziehen.

Weniger großzügig verfährt man dortamts mit dem Mangel an nationaler Haltung. Und so ereignet sich das Bitter-Komische, daß der schwärmerische Sänger der schönsten Stadt und der schönsten Straße der Welt (der „Straße der Liebe“, der Champs-Elysees), der großen Nation und ihrer großen Heroen (Sacha Guitry hat zweimal Talleyrand gespielt und zweimal Napoleon und zweimal dessen Brautschaft mit Desiree verfilmt) — daß dieser Troubadour der Grande Nation 1944 von einem französischen Untersuchungsausschuß wegen Kollaboration mit dem deutschen Erbfeind verhaftet und in ein Internierungslager nach Drancy gebracht wird; erst 1947 wird aus nationalem Prestige die Weste notdürftig reingewaschen.

WIR SIND NUN FREILICH NICHT MEHR DAZU DA, anzuklagen oder reinzuwaschen, sondern haben diese betrüblichen menschlichen Phänomene lediglich so weit heranzuziehen, als sie zur Erklärung eines höchst eigenartigen und widerspruchsvollen, in summa aber doch bedeutsamen und erfreulichen filmischen Tatbestandes dienen.

Als echtes Theaterkind (Sacha Guitry war sehr früh Schauspieler, schrieb mit 16 Jahren eine Oper, mit 19 ein Drama, mit 20 eine Verskomödie) war Sacha Guitry vorerst ein geschworener Feind des Films, des Stummfilms. Rene Hervil und Louis Mercanton mußten ihn und seine erste Frau Yvonne Printemps zur ersten Rolle in dem Stummfilm mit dem beziehungsvollen Titel „Un Roman d'Amour et d'Aventure“ richtig überlisten. Auch sein eigener erster Film, ein Zeichenfilm 1919, war kaum mehr als eine Augenblickslaune. Da kam der Tonfilm: Mit ihm, sagt Sacha Guitry nunmehr begeistert, „nimmt das Theater seinen

Platz unter den Künsten ein“. Das ist bezeichnend für ihn. Prompt greift er nun zur Pistole und schießt dreimal scharf. Aber erst der dritte Schuß sitzt im Schwarzen. Der erste war die überraschende Erlaubnis für Robert Flory, sein Stück „Le Blanc et le Noir“ zu verfilmen. Der zweite war Sacha Guitrys Pasteur-Film 1935, eine tonfilmische Fingerübung. Der dritte, ein Jahr darauf, 1936, ja, das war der Volltreffer: „Roman d'un tricheur“, „Roman eines Schwindlers“, nicht mehr überboten von einem einzigen der 24 folgenden Filme zwischen 1936 und 1956, auch nicht von „Perlen der Krone“, von „Straße der Liebe“, dem „Hinkenden Teufel“ und dem „Napoleon“ — dabei waren doch die beiden letzten auch Schwindler von mondialem Ausmaße gewesen ...

DER TONFILM hatte 1936 zwar schon die ersten Kinderschuhe vertreten, verfügte aber doch noch lange nicht über jene souveräne Kulisse an Ton und Musik, Monolog und Dialog, die nach Bela Balacs — bis heute un-entdeckt geblieben ist... f Dem „Roman eines Schwindlers“ gelangen immerhin drei Revolutionen, Revolutiönchen, an denen wir heute noch so hungrig knabbern wie an der großen von 1789.

Die erste betraf den Titelvorspann. Die Kamera rollt durch das Atelier und stellt mit ernüchternder Realistik die Mitwirkenden in natura vor, last, not least den Buchautor und Drehbuchverfasser, Regisseur und Hauptdarsteller, Seine Majestät Sacha Guitry selber (diese gewisse Selbstgefälligkeit wird ein ihm bisweilen sehr übel genommenes Kriterium der meisten seiner folgenden Filme bleiben); vorerst ist es noch keine Manie, es ist noch ein Witz, origineller und zündender als viele Scherze von heute: die berühmte Qi)vejtXire oder der graphische Scherz u. a.

Die zweite Revolution, die die Amerikaner zuerst kapierten und kopierten und von der der ganze Film bis heute zehrt, war die Ueber-tragung des bis dahin nur im Kulturfilm ein pädagogisch trockenes und freudloses Dasein fristenden Kommentators in den Spielfilm. Im „Roman eines Schwindlers“ tun nur die beiden Darsteller der Rahmenhandlung das Mündchen auf, im eigentlichen Film hat das Wort einzig allein der Erzähler, der Conferencier, der philosophische Witzbold — seinen Namen werden wir nie erfahren: es ist wieder Sacha Guitry...

Aber: als ob er geahnt hätte, daß der' Film von da ab den glossierenden Kommentar bis zum Erbrechen wiederholen werde, inszeniert Sacha Guitry — und das ist die dritte Revolution dieses Films! — gleich eine Variation, eine ganz spezielle Abart dieser Kommentierung, indem der Erzähler am Kaffeehaustisch nicht nur immer wieder als Erzähler die retrospektive Handlung anfeuernd, abbremsend, meditierend und ironisierend unterbricht, sondern von einem bestimmten Punkt der Handlung an selbst in allen möglichen Lebensstufen des Helden der Story ins Bild, in die Aktion übertritt, solcherart den nur hörbaren Sprecher mit dem nur sichtbaren : A,kteur durcheinanderwirbelnd' und -mischend wie nur die berühmten Bakkarat-Neuner beim Falschspiel.

DIESER TRICK DES FILMS, dieser Schwindel, dieses Falschspiel verdeckte die evidente Theaterverhaftung des Films, die erst in späteren Sacha-Guitry-Filmen ruchbar wurde, fast völlig. Sacha Guitry selbst allerdings war seiner Sache so wenig sicher, daß er in seinen folgenden Filmen, „Die Perlen der Krone“ und „Straße der Liebe“, Christian Jaque und Rene Le Henaff als Hilfsregisseure zuzog — mit dem einzigen Erfolg, daß die beiden alten Filmhasen dem Löwen die Eckzähne zogen und er nicht mehr, nie mehr so löwisch, so königlich biß und brüllte.

Im „Roman eines Schwindlers“ zwang die Faust noch gebieterisch und instinktsicher Theater und Film, Wort und Bild, frechen Esprit und Moral zusammen. Apropos Moral. Ueber diese Moral der Geschieht' ist viel geredet und gedeutelt worden. Fürs erste springt uns ein respektloser Zynismus an, der auch nicht vor Toten und Bresthaften Halt macht. Angesichts der elf Sterbenden, mit denen der Film anhebt, sagt der Kommentator einmal: „Der seit 20 Jahren gelähmte Vater Rousseau hatte sich bis zu uns tragen lassen, und der Dorf blinde stieß und schob ungeduldig alle anderen beiseite: Laßt mich sehen !“ Oder: „Der taubstumme Onkel starb als letzter unter schrecklichen Qualen. Wer ist denn der, der so schreit? Der Stumme ... hieß es“ Oder: „Wer nie elf Leichen gesehen hat, macht sich keinen Begriff, wie viele Leichen das sind. Wo man hinsah, waren welche...“ Und schließlich: „Man kann seine Mutter beweinen oder seinen Vater oder seinen Bruder ..., aber wie beweint man elf Personen?“

ER MACHT'S UNS ALSO NICHT LEICHT, der Schäker, der lose. Aber, es kommt noch dicker. Der „Roman eines Schwindlers“ ist bekanntlich die Geschichte eines Menschen, der in der vielzitierten. Ouvertüre von den vergifteten Schwämmen als Bub neben elf Familienleichen einzig übrigbleibt, weil er vorher einen Griff in die Ladenkasse getan hat und darum fasten mußte. Der Schluß scheint zwingend: Stiehl und schwindle, damit du am Leben bleibst. Aber mitten im schönsten Schwindel passiert's: der Schwindler begegnet beim Falschspiel seinem Lebensretter aus dem ersten Weltkrieg, schont ihn, ja noch mehr, wird durch diesen vom professionellen Falschspieler zum spielbesessenen Amateur verzaubert — und von da an geht's rapid bergab mit ihm!

Man soll den losen Spötter, der Sacha Guitry ist und bleibt, nicht zum Moralisten umfälschen. Trotzdem will es manchmal scheinen, als ob hinter diesem scheinbar oberflächlichen Amoralismus im „Roman eines Schwindlers“ von ferne jenes Problem des „Sei du ganz!“, „Sei du selbst!“, freilich eulenspiegelnd verzerrt und verdunkelt, auftauchte, mit dem etwa. Ibsen im „Brand“ und „Peer Gynt“ gerungen hat, ernster freilich, drängender und sichtlich moralischer.

SO ODER SO: SACHA GUITRY IST TOT, DER „ROMAN EINES SCHWINDLERS“ LEBT, Er lebt und lebt fort als ästhetischer und moralischer Purzelbaum, als dramaturgischer Motor, als witziger Animateur der Filmgeschichte. Vieles an ihm ist nachgeahmt worden (Curt Götz' Filme scheinen ihm am nächsten zu kommen), manches ist unnachahmlich, einmalig.

In seiner Autobiographie, „Wenn ich mich recht erinnere“, sagt Sacha Guitry einmal von sich selber:

„Als ich auf die Weh kam, war icU rot wie ein Krebs. Zuerst betrachteten mich meine Eltern mit leisem Entsetzen, dann blickten sie sich traurig an, und mein Vater sagte zu meiner Mutter: ,Ein richtiges kleines Scheusal!' Doch das schadet nichts, wir wollen ihn trotzdem liebhaben!“

Wir wollen heute nicht so pietätlos sein, das Wort nochmals auf ihn selbst anzuwenden. Aber — auf den Film: dieses richtige kleine Scheusal. (Aber wir wollen ihn trotzdem liebhaben!)

Voilä un homme! Ein Mensch. Ein Film und ein kleines Welttheater. Roman eines Schwindlers, der uns vielleicht - vielleicht! — düpiert, ganz bestimmf aber nicht ärmer, sondern reicher gemacht hat. Und das ist höchst selten bei

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung