Schnüffelei und Spinnweben

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Hier ein heimtückischer Mord und dessen Drumherum, dort Missbrauch und andere Abgründe: zwei Bücher von Thomas Weiss, gelesen von zwei Rezensenten.

Es ist ein Ablenkungsmanöver. Das Verbrechen, das dieses kleine Buch von Thomas Weiss im Großen bewegt: der Mord an dem amerikanischen Finanzinvestor Marc Schworz, der im Begriff steht, die Übernahme der deutschen Fabrik Grothe abzuwickeln. Das Attentat auf seine Person, das immer wieder in einzelnen Abschnitten auftaucht, hin und her gewendet wird, dieser zentrale Vorfall also, über den der Autor Auskunft geben will: Es ist ein Ablenkungsmanöver. Das Geschehen, das Weiss beschreibt, steht nur äußerlich im Zentrum seines Textes; tatsächlich geht es im Innern der 63 (oft äußerst kurzen) Kapitel um dessen Drumherum, um seine Bedingungen und Voraussetzungen, seine Kontexte und Auswirkungen.

Collagierte Texte

"Tod eines Trüffelschweins" ist in erster Linie eine Sammlung einzelner Versatzstücke unterschiedlicher Provenienz, weniger ein fortlaufender Kriminalroman und keine stringent dargebotene Geschichte. Vielmehr besteht das Buch aus einer Vielzahl unterschiedlicher Stimmen und Dokumente, aus Zitaten, Zeitungsartikeln, Anklageschriften, Pamphleten, Polizeiprotokollen, Telefongesprächen, Interviewmitschnitten, Vernehmungsprotokollen, Urteilssprüchen usw. Es ist ein zusammen collagierter Text, der insbesondere eine Person ins Licht rückt: den mutmaßlichen Mörder Klaus Heuser, einen ehemaligen GSG-9-Beamten, der am 14. April 2006 am helllichten Tag Schworz "heimtückisch und aus niederen Beweggründen", ohne ein Wort zu sagen, mit zwei schnell hintereinander abgegebenen Schüssen in den Hinterkopf getötet haben soll.

Eigene Spurensuche

Das ist der Clou des Buches: Dass darin brisante gesellschaftspolitische Debatten bis zum Äußersten durchgespielt werden, wenn das neoliberale, "heuschreckenhafte" Verhalten kapitalistischer Großunternehmer und skrupelloser Manager mittels einer offenbar kaltblütigen Hinrichtung aus moralischen Gründen bestraft wird.

Die Fiktion des "Falls Heuser" ist dabei zwar literarisch konstruiert, aber potentiell möglich, was sowohl das ungewöhnliche, unstete Erzählformat als auch die zahlreichen historischen Bezüge (etwa an den Deutschen Herbst) unterstreichen. Auf diese Weise hat der 1964 in Stuttgart geborene und heute in Berlin lebende Thomas Weiss ein Buch für all jene Krimi-Leser geschrieben, die es schätzen, selbst auf Spurensuche zu gehen, um Hintergrundinformationen hartnäckig zusammenzutragen und aufzuspüren. Um in der Tat regelrecht herumzuschnüffeln.

Oliver Ruf

TOD EINES TRÜFFELSCHWEINS

Von Thomas Weiss

Steidl Verlag, Göttingen 2007

132 Seiten, geb., € 14,40

Folgendes" hat Thomas Weiss seinen Roman betitelt und eingeleitet: "Folgendes." Es folgt einiges: Traumata, Tragödien, Gewalt, dann aber auch das Gegenteil - sind das die hier auch präsenten Erlösungsvisionen, und seien es jene vom befreienden Nichts: "tiefschwarzes Schwarz"? Oder sind das doch die Affären, Kaffeekränzchen, die im Klappentext versprochenen Leichtigkeiten des Seins?

Alles beginnt mit Herrn Weber, der schwitzt, weil er in praller Sonne den Rasen mäht, wo er doch schon Pensionist ist - ist der Schweiß peinlich? Oder Grund zu Stolz? Und wenn man auf ihn stolz sein kann, so ist das doch so kleinbürgerlich wie andererseits die Scham. Es ist eben nichts natürlich, nichts einfach so, wie es ist. Nicht einmal die Liebe sagt derlei noch: Es ist, wie es nicht ist, und zwar auch beim schwitzenden Herrn Weber. Der denkt beim Tod an den verwildernden Garten, also an das Folgende.

Das ist Anton aus Schlesien, "Ach in Polen", rutscht es der Tochter der Webers heraus. Anton ist auch Rentner, aber drahtig und fit. Jenes Idyll wird durch Goldfische komplett. Aber die kleinbürgerlichen Goldfische statt der suspekten "exotischen Karpfen" "machen ja einen unglaublichen Dreck. Elende Sauerei".

So werden Folgen erzählt, Zufälle, auf fast schon manieriert unprätentiöse Art, denn über die Ellipse kommt der innere Monolog nie hinaus, zum Beispiel: "Geht ihm nämlich voll auf die Nerven"; oft auch dem Leser. Wie auch das aufgesetzt Skurrile - "Grüß sie Gott, wie alt ist denn der Kleine. Neunundsiebzig. Huch. Tja."

Schon lustig, würde man sagen, wenn der Autor einem gegenübersäße, und dann hielte er es vielleicht für eine Wiederholung, wenn man nachsetzte: Tja. Und das Schlimme daran ist, dass das die Leichtigkeit wohl sein soll, die gegen die Traumata steht. Da war ein Thomas Bernhard - um gleich viel zu hoch zu greifen, doch andererseits ist er unverkennbar ein Vorbild Weiss' - sowohl komischer als auch tragischer, und zwar beides zugleich.

Es geht um Missbrauch, der von der einen Seite schrecklicher Verdacht ist, von der anderen wird aber nur offiziell von dieser Verdächtigung nichts gewusst - oder sie tut so, als hoffe sie, dass vielleicht die betroffene (oder die vielleicht betroffene) "Annegret nichts weitererzählt hat". Abgründe, die "Blockwartmentalität" andeuten, aber nicht: wessen faschistoide Züge.

Von einem alten Aquarium heißt es, es sei "(v)oller Spinnweben", das könnte es auch von diesem Duktus heißen, dieser Mischung aus Neuer Sachlichkeit und Bernhard. Bernhards Aftervasallen der zweiten Generation beschreibt Weiss letztlich wohl auch, indem er den befreienden Tod skizziert: "(N)ach dem Tod kommt nichts. Nur tiefschwarzes Schwarz."

Huch. Tja.

Martin A. Hainz

Folgendes

Roman von Thomas Weiss

Steidl Verlag, Göttingen 2006

181 Seiten, geb., € 18,50

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