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„Schwurgericht“

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Ueber Andre Cayatte großen Film „Justice est falt«“ („Schwurgericht“) i»t ein verhängni»-voller Irrtum verbreitet: er «ei der Film von der Euthanasie, von der Tötung auf Verlangen. Das ist grundfalsch. Da» war der deutsche Film mit Hartmann, Wieman und der Hatheyer „Ich klage an“, ein Versuchsballon vom Jahre 1941 der national-»ozialistischen Doktrin für diese und noch gefährlicher« ander« Experimente. Wie weit der franzosische Film unserer Tage darüber hinausgereift ist, geht schon darau» hervor, daß er präzise den Standpunkt de» gläubigen Katholiken und des Juristen und — ganz der Wirklichkeit entsprechend! — da» «tark auseinanderstrebende Urteil der Mediziner dazu wiedergibt. Dies alle» aber nur am Rande, als Antrieb de» eigentlichen Motivs, da» es etwa »o formuliert: Wie weit beeinflussen menschliche Alltagssorgen und Befangenheiten das Urteilsvermögen der Geschworenen in einem Prozeß auf Leben und Tod, wie weit ist also ihr Spruch subjektiv oder objektiv, unwahr oder an> nähernd wahr? Ein dramaturgischer Trick, den der Film von Anfang bi» zum Ende konsequent durchsteht, verleiht dieser Fragestellung unerhört« psychologische Fülligkeit und Tiefe. In das Vo» leben und Augenblickterleben eines jeden G» ichworenen wird unbarmherzig hineingeleuchtet ie tragen alle ihr Schicksal in das Schicksal der Angeklagten hinein, ja, um die Problematik ihr«» Urteils auf die Spitze zu treiben, erfährt einer von ihnen am Schluß ein Detail »eine» intimsten Leben», dessen Kenntnis ihn eine Stund« vorher zu eine» milderen Beurteilung der Tat der Angeklagten und damit (da der Geschworenenspruch nur mit einer Stimme Mehrheit erfolgte) zu ihrem Freispruch bewogen hätte. Die Angeklagte selbst, ihr Motiv und ihre Tat (sie hat ihren todkranken Geliebten auf sein Verlangen getötet, ob aus Mitleid, Erb' schleicherei oder um freie Bahn für eine neu« Neigung zu gewinnen, bleibt offen) treten dadurch weitgehend in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen die scharfkonturierten Episoden de» Leben» der Geschworenen. Hier liegt auch der künstlerische Schwerpunkt des Films, hier gibt der französische Film wie immer sein Bestes, das ihm die»-mal verdient drei große internationale Preise eingetragen hat.

Die Antwort de&#187; Films bleibt offen. Doch ist aus dem Leben und Schaffen &#171;eines Schöpfers, de einstigen Rechtsanwaltes^ Andr< Cayatte, der in einem anderen Film, „Wir alle sind Mörder“, ein temperamentvolle&#187; Plädoyer gegen die Todesstraf&#171; gehalten hat, abzulesen, daß er unter diesem Film weniger einen Streich gegen die urdemokratisch&#171; Einrichtung des Geschworenengerichte&#187; al&#187; vielmehr einen zeitlosen eindringlichen Appell an da&#187; menschliche Richtergewissen schlechthin verstanden haben will.

Unsere Reserve dagegen gilt, wie häufig in französischen Filmen, der Kaltschnäuzigkeit, mit der die freie, eheungebundene Liebe als selbstverständliche, natürliche Norm hingestellt wird. Die Angeklagte de&#187; Film&#187;, an zwei Geliebte verloren, demonstriert &#187;ogar mehrmal&#187; regelrecht für di&#171; Lösung dieser „Fesseln“. Wäre aber nicht gerade die Ehe, ihre sinnhafte, fruchtbare und tragische polare Spannung im menschlichen Schicksal einer häufigeren Behandlung durch den künstlerisch so ernst zu nehmenden französischen Film würdig?

Westdeutschland enttäuscht in dieser Woche mit einem motivisch verkrampften Hildegard-Knef-Film ,J 11 u &#187; i o a in Mol 1“ und überrascht an&#171; genehm mit einer Auffrischung de&#187; Ganghofer-Stile&#187; durch Harald Reinl in „Der Herrgott-schnitzer von Ammergau“. Rußland präventiert in „Chinesischer Zirkus“ wohltuend revuefreie, &#187;aubere bi aufsehenerregende, leider &#187;ehr &#187;teif konferierte artistische Leistungen und dazu den Zeichentrickfilm „Der betrogene T&#171;ufel“ nach einem Gogol-Märchen, Amerika vier Sensationen („Aufstand auf Haiti“ und „Weiß&#171; Frau im Dschungel“, besser als „Die Piratenkönigin“ und „Rivalen am reißenden Strom“) und einen Schwall von Pulverdampf in „Geächtet“. Von dem gemüt-warmen Humor de&#187; letzteren zeugt der nachstehende gehaltvolle Dialog zweier Frauen am Lager eines Schwerverletzten. Die eine: „Er ist so heiß.“ Die andere: „Ich wollte lieber, er wäre schon kalt“

Filmschau (Gutachten der Katholischen Film-kommission für Oesterreich), Nr. 1- und 2/III vom 7. und 14. Jänner 1953: II (Für alle zulässig): „Chinesischer Zirkus“; III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Der Obertteiger“, „Spione, Liebe und die Feuerwehr“, „Die Schmuggler-Prinzessin“, „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“; IV (Für Erwachsene): „David und Bathseba“, „Sein lezte Kommando“, „Jede Frau braucht einen Engel“, „Zorro im Wilden Westen“, „Aufstand in Haiti“, „Weiße Frau im Dschungel“, „Illusion in Moll“; TVa (Für Erwachsene, mit Vorbehalt): „Schwurgericht“, „Rivalen am reißenden Strom“, „M“i V (Abzuraten): „Geächtet“

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