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So nicht!

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Zu den vielen wohlmeinenden Fehleinschätzungen gehört auch die Ansicht, wir Österreicher verstünden uns besonders auf Psychologie. Freud wird dabei zitiert und unsere Dichter, von Grillparzer über Schnitzler bis zu Doderer. Und dann unsere Lebensart, wie wir mit den Menschen und ihren Problemen umzugehen verstünden! Mit uns selbst und unseren eigenen Problemen aber scheinen wir nicht fertig zu werden. Begonnen hat es damit, daß wir glaubten, einen Teil unserer Vergangenheit, jenen, der uns unangenehm ist, nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Der Nationalsozialismus, der Krieg, die Judenverfolgung: das waren immer die anderen, wir nicht. Aber wenn wir auch schlechte Psychologen sind, so können wir doch die Gesetze der Psychologie nicht aufheben. Was verdrängt wird, sinkt hinunter und wuchert und eitert dort weiter. Wenn die Caritas, die alljährlich viele Millionen Schilling für Hilfsmaßnahmen in aller Welt zur Verfügung stellte, einmal eine symbolische Spende von 20.000 Schilling für die Ansiedlung jüdischer Flüchtlinge in Israel gibt, dann erhält der Kardinal anonyme Schreiben, so voll von Haß, von Dummheit und Gemeinheit, daß man sich schaudernd fragt: Sind das Österreicher, sind das Menschen, sind das vielleicht gar Christen, die am Sonntag in die Messe gehen und beten „Vergib uns unsere Schuld“?

Vielleicht wollte Fritz Hochwälder in seinem Fernsehspiel „Der Befehl“ zeigen, daß es nicht geht, die eigene Vergangenheit zu verdrängen. Dann war das, was er tun wollte, gut, das aber, was er getan hat, war schlecht. Denn so geht es auch nicht.

Ein österreichischer Kriminalbeamter, so erzählt das Stück, hat während des Krieges in Holland ein jüdisches Mädchen brutal erschlagen. Das mag vorgekommen sein. Unter den vielen hundert österreichischen Polizisten, die während) des Krieges in besetzte Gebiete abkommandiert worden waren, kann es auch brutale Schläger, haßerfüllte Mörder gegeben haben. Den Durchschnitt repräsentieren sie nicht. Der österreichische Polizist in Hochwälders Fernsehstück war alles andere als ein Schläger. Er war kein Nationalsozialist, eher ein Gegner, er wird als korrekter, zurückhaltender Beamter geschildert. Und er soll ein jüdisches Mädchen erschlagen haben. Auf „Befehl“, Weil das Stück so heißt? Einen solchen Befehl hat es nie gegeben, im Gegenteil, man mußte diesen Mord als einen bedauernswerten Unfall darstellen. Mit dem Befehl ist es also nichts! Oder sollte gezeigt werden, daß die Österreicher, auch wenn sie keine Nazis, keine geborenen Sadisten, sondern durchschnittliche, korrekte Beamte waren, im Grunde eigentlich doch Mörder sind? Dazu würde das Bild der anderen Österreicher im Spiel passen. Mit ganz wenigen Ausnahmen werden sie entweder als schleimige Karrieristen oder als Menschen mit dunkler Vergangenheit und noch dunklerer Gegenwart gezeigt, die in einem Praterwirts-haus die „Nationalzeitung“ lesen, den Badenweiler-Marsch spielen und von Schmuggel oder Schiebungen leben.

Soll man also, wie viele meinen, das Vergangene vergangen sein lassen und nicht mehr daran rühren? Im Gegenteil. Um diese Aufgabe kommen wir nicht herum. Aber wir verfehlen sie, wenn wir Vergangenheitsbewältigung so betreiben wie hier. Wenn ich schon einen einzelnen Menschen schlechter mache, wenn ich ihn bloß so nehme, wie er ist und nicht an sein Besseres appelliere, dann kann ich doch nicht von einem ganzen Volk Einsicht, Erschütterung und Umkehr erwarten, wenn ich dieses Volk noch schlechter mache, als es ist. Wenn hier von einem Befehl geredet wird, den es nicht gab, dann kann dies nur Wasser auf die Mühlen jener sein, die sich immer wieder auf einen Befehl ausreden wollen. Dann kann es sein, daß viele gutgemeinte Aktionen gegen Antisemitismus und Neonazismus bei vielen nur das Gegenteil erreichen: statt Aufklärung Verdunkelung, statt Erschütterung Verhärtung, statt Befreiung von der Vergangenheit eine Fixierung.

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