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Szenen als Mittelpunkt des Seins

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Die Jugend war auch in früheren Zeiten keine einheitliche Bevölkerungsgruppe, doch niemals zuvor war sie in so viele kulturelle Strömungen aufgefächert wie heute. Aber nicht nur die Jugendkultur hat sich im Zuge der Individualisierung und Kommerzialisierung der Gesellschaft in eine bunte und vielfältige Collage verwandelt. Auch die Individuen sind widersprüchlicher und vielgesichtiger geworden," erläutern die Autoren Beate Großegger und Bernhard Heinzlmaier bei der Präsentation des ersten österreichischen Jugendtrendbuches „trend pa-ket 1 - Jugendkultur als flächiges Klebekunstwerk".

„trend paket 1" ist das erste Buch einer Serie, die vom Österreichischen Institut für Jugendforschung im kommenden Jahr veröffentlicht wird und sich mit den neuesten Trends in den Jugendkulturen und Jugendszenen auseinandersetzt. Genauso „flächig" wie sich die Jugendkultur präsentiert, ist auch das nun vorliegende erste Buch aufgebaut. Es behandelt auf 96 Seiten die Themen Politik, Ästhetik, Jugend und Medien, Sexualität, Geschlechterrollen, Religion und Freizeit. Der Leser bekommt einen Einblick in die kulturelle Identität von Jugendlichen. Und die präsentiert sich tatsächlich erstaunlich vielfältig: dynamisch, widersprüchlich, wechselhaft, tolerant und oberflächlich.

Im Mittelpunkt der „Plus-Generation" steht die Szene, so die Autoren: „Szenen sind die Gesellschaftsordnung der neunziger Jahre. Die Szenen geben den Jugendlichen Halt und Orientierung. Skater, HipHoper, Metals, Indies, Technos, Alternative, footerik-Freaks, X-Philes - nach diesen Szenenmustern strukturieren sich die Jugendlichen. Und dabei gilt: Die Szene, die mir heute noch völlig fremd ist, könnte morgen schon meine sein." Die Grenzen der einzelnen Cliquen verschwimmen miteinander und sind nicht mehr so starr wie noch in den achtziger Jahren. Wer hätte sich schon in seiner Studentenzeit als „Linker" mit einem „Rechten" an einem Tisch gesetzt? Für die Jugend von heute ist das durchaus kein Tabu. Im Schnitt fühlen sich moderne Jugendliche zu drei Lebenswelten zugehörig. Es gilt das Motto: leben und leben lassen. Die Freiheit, die selbst für sich in Anspruch genommen wird, wird auch den anderen zugestanden.

Die „idyllischen achtziger Jahre", in der Jugendliche in politischen Gruppen zusammen mit anderen rebellieren konnten, sind für heutige Teenager vorbei. Ihnen sind Umweltprobleme und Kürzungen der Sozialausgaben im großen und ganzen egal. Der Grund für den Rückzug aus der Politik liegt aber nicht darin, daß sie vom Konsumkapitalismus korrumpiert wurden, sondern er steckt in den politischen Institutionen selbst, so die Autoren. Jugendliche haben das Gefühl bekommen, sie könnten ohnehin nichts verändern. Sie zerbrechen sich den Kopf über Lehrstellen-mangel, Sozialabau und Verarmungsprozessen. Sie sehen aber niemanden, der diese Probleme in den Griff bekommen könnte, ihr Engagement führt zu keinem erkennbaren Erfolg. „Die Jugend verschließt die Augen vor den Problemen der Welt und erstickt ihren Frust im Konsumrausch," so Heinzlmaier. Eine oft gehörte Antwort von Jugendlichen ist daher oft: „Das ganze Gerede von ,alternativ va-lues' ist ein Riesenbetrug. Ich will nichts damit zu tun haben. Was wir machen, steht für sich selbst, und ich repräsentiere nichts anderes als mich selbst. Scheiß auf den Rebellenkram! Mir geht es nur um Individualität und Selbstausdruck."

Grundlegend verändert haben sich auch die Geschlechterrollen. Seite 76: „Was vor 15 oder 20 Jahren nicht mehr als ein Minderheitenprogramm im Ringen um einen alternativen, gegenkulturellen Lebensentwurf war, steht für den emanzipierten Mann der Gegenwart völlig außer Streit: Er wäscht ab (wenn auch nicht gern), kauft ein, bügelt (oft lieber als seine Lebensgefährtin), wickelt seine Kinder (sofern er welche hat)."

Die Geschlechterrevolution hat aber nicht nur ihre gute Seiten für den „neuen Mann": „Mehr denn je ist unklar, was heute (noch) männlich ist. Konfusion hat nicht nur den Durchschnittsbürger erfaßt. Auch die Werbekreativen, die sonst in Sachen Lifestyle häufig der Zeit voraus und, wenn das schon nicht, so zumindest am Puls der Zeit sind, scheinen etwas ratlos ... Ihnen sind die Männer offenbar abhanden gekommen.

Für jeden, der mit Jugendlichen arbeitet und für alle, die sich für junge Menschen interessieren ist „trend paket 1" eine empfehlenswerte Publikation, die noch dazu spannend geschrieben ist.

trend paket 1

Von Beate Großegger und Bernhard Heinzlmaier. Verlag Zeitpunkte, Graz Wien 1997. 96 Seiten, öS 130,-

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