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Teil hinter der Mauer

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Nach einem kurzen Umbau von etwa drei Jahren spielt das Ost-Berliner Deutsche Theater wieder in seinem großen Haus. Peter Hack, der begabte Statdramatiker, der (auch schon seit Jahren) auf die Aufführung seines ünmmer wieder umgearbeiteten Brikett-Stücks „Die Sorgen und die Macht“ wartet (es ist inzwischen — wieder einmal — angekündigt), durfte wenigstens den Eröffnungsprolog schreiben, nicht ohne Witz und nicht ohne Zweideutigkeiten. Eröffnungspremiere aber war „Wilhelm Teil“.

Nun hat man sich inzwischen daran gewöhnt, daß in jedem Falle die Bundesrepublik und die westliche Welt die schwarze Folie abgeben müssen, vor der sich die Volksdemokratien um so weißer und strahlender abheben. Für alle deutschen Besucher wurde die Aufführung zu einem zwiespältig-quälenden Erlebnis ihrer Situation; manchmal löst sich das Publikum in demonstrativem Beifall; manchmal verharrt es in schweigender Beklemmung.

Zwar ist er altmodisch, dieser Schiller mit seiner Predigt für die überholte nationale Selbständigkeit. Aber bestürzend aktuell in seinen politischen Beobachtungen: Bau von Zwingmauern, stumpfe Söldner, ein kalter Tyrann, gequältes Volk und, immer wieder strahlend, der Ruf nach Brüderlichkeit. Hier lebt das Publikum mit; ich sah einen Mann weinen neben mir; hörte halblaute Ausrufe der Zustimmung. — Auf der Bühne aber wird etwas anderes gespielt: gemütlich, breit und bürgerlich, ohne jede geistige Schärfe malt Langhoff das Stück; vor der Pause die ausführliche Darstellung einer Verschwörung; nachher die Geschichte eines sehr hemdärmeligen, bieder-burschikosen Familienvaters, der aus ungebrochener Kraft zum Helden wird. Bei den sozialen Spannungen verweilt die Inszenierung, holt deutlich und genau die Unterschiede zwischen Bauern, Bürgern und Adeligen heraus. Aber der Kampf um die Bürgerrechte wird historisch entschärft, als Beispiel gegeben aus der Sicherheit der Erfüllung in der Gegenwart. Der sehr leise und eindringlich gesprochene Rütli-Schwur geht mit der Morgendämmerung über in Hanns E i s 1 e r s sieghaft-symphonische, sehr klassisch-abgeklärte Musik, völlig frei von Kampf. Das Ziel ist ja längst erreicht (hier bei unsl), wird dem Zuschauer suggeriert. Und laut-fröhlicher Jubel erfüllt das operettenhafte Schlußbild; mit Geßlers Hut wird gespielt und gescherzt; nichts mehr von Kampf und Qual; der Anschluß aus finsterer Zeit an die lichtvolle Gegenwart ist gewonnen. Die Nutzanwendung aber bringt das Schlußwort der Inszenierung, aus dem Anfang des 5. Aktes herübergenommen: „Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt, / dem Feind von außen wollen wir begegnen.“ So leitet man den Schlußapplaus gen Westen. Und deshalb steht auf der ersten Seite des Programmheftes unter dem Rütli-Schwur der Schwur der Häftlinge von Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus ist unsere Losung.“ Nazismus aber, darauf ist man eingedrillt, und Bundesrepublik sind identisch. Nur dieser Feind ist erlaubt. Und für seine Vernichtung kämpft auch die Inszenierung; 6tolz erklärt man sie als möglich nur im „ersten Arbeiter- und Bauernstaat, der Schillers schöne Vereinigung von Humanität und Patriotismus“ treu bewahre (Abusch).

Ein wenig beklommen sieht der westliche Besucher auf dem Umschlag des Programms das Bild der erstrebten Einheit: aufgereckte Hände vor röter Sonne.

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