6768592-1968_44_14.jpg
Digital In Arbeit

Theater als Anklage und Spiel

Werbung
Werbung
Werbung

Der heute 44jährige bedeutendste Negerschriftsteller der USA James Baldwin meinte einmal, als er vom Wahnsinn des Rassenkonflikts sprach, er sei unter Negern nicht weniger ein Fremder gewesen als unter Weißen. Aus dieser Sicht ist das Schauspiel „Blues für Mister Charlie“ geschrieben, das im Volkstheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte. Es führt eine Situation vor, die nicht mehr ganz die heutige ist, „Mister Charlie“ nennen die Neger den Weißen, in den „Blues“ schwelt Haß wider die weißen Unterdrücker. Baldwin aber geht es um die Überwindung des Hasses. Aus 'nichtigem Anlaß entsteht Streit zwischen dem weißen Ladenbesitzer Lyle und dem jungen Neger Richard. Als sich der Neger nicht entschuldigt, erschießt ihn Lyle, es gibt dabei keine Zeugen. Das Gericht vermeidet es. den Fall aufzuklären und fällt einen Freispruch.

Baldwin fixiert das krasse Unrecht, das die Weißen begehen, er zeigt auf, daß Lyle, der die „Nigger“ als wertlos verachtet, den Mord nicht im mindesten bereut. Das Widereinander von Schwarz und Weiß wird aber von Baldwin nicht schwarzweiß gezeichnet. Richard trieb es mit den weißen Weibern, war rauschgiftsüchtig, er ist keineswegs ein lauterer Charakter. Richards Vater, ein christlicher Prediger, klagt zwar an, daß sich die weißen Christen nicht christlich verhalten, er . will aber keine Rache. Und Richards Großmutter gibt durchaus nicht den Weißen die Schuld an allem Leid der Welt. „Blues für Mister Charlie“ ist zwar ein Tendenzstück, aber es wirkt nicht tendenziös im Sinn geifernd einseitiger Parteinahme. Baldwin möchte in den Weißen brüderliche Gefühle für die Schwarzen wecken.

Erhebliche Striche wären in dem überlangen Stück nötig, da es in der vortrefflichen Charakterisierung der Gestalt romanhaft breit angelegt ist. Die Konzentration fehlt, worunter die Wirkung leidet. In der sorgsamen Inszenierung von Leon Epp merkt man seine Liebe für Baldwins Stück, ihm geht es beim Theater immer wieder um ethische Bestrebungen. In dem riesigen weißen Raum, den Wolfgang Vollhard als Bühnenbild schuf, werden hell-dunkle Beleuchtungseffekte zu starker Wirkung gebracht. Aladar Kunrad gibt dem Lyle Brutalität, aber auch Herzlichkeit. Eugen Stark gehabt sich als Richard allzu gelöst, er zeigt nicht die Schattenseiten des Charakters, wodurch diese Gestalt zur Konzeption des Stücks etwas in Widerspruch gerät. Joseph Hendrichs hat die ruhige Beherrschtheit des Negerpriesters, Dorothea Neff, Jutta Schwarz und Maria Urban, wie auch Ernst Meister und Heinz Petters zeichnen trefflich weitere Figuren.

Ziel des Theaters war lange Zeit die Vortäuschung der Wirklichkeit. Doch nicht erst in einzelnen Stücken von Strindberg und von Pirandello erfolgte ein Durchbruch, eine Auflösung des dramatischen Gefüges durch das Zerstören der Illusion, durch das Verlassen der unmittelbaren Realitätsdarstellung, es gab dies schon bei Aristophanes und im besonderen bei den Romantikern.

Das Theater am Belvedere führt derzeit das gar nicht kindliche Kindermärchen „Der gestiefelte Kater“ auf, das der 24jährige Ludwig Tieck im Jahr 1797 schrieb. Fiktive Zuschauer nehmen zu dem Gebotenen Stellung, auch während des Spiels. Das hat es schon bei Ben Jonson, bei Beaumont und Fletcher gegeben. Hier aber sprechen auch noch die Schauspieler außerhalb ihrer Rollen miteinander, der Dichter, der Dramaturg, der Soufflef, der Maschinist mengen sich ein, einzelne wenden sich an diese fiktiven Zuschauer, die nun vollends erklären, es komme in dem Stück gar kein Publikum vor. Sie sind es ja selbst.

Damit wurde die „romantische Ironie“, das willkürliche Zerstören der poetischen Illusion, zum äußersten getrieben, Alles ist Spiel, wobei die Geschehnisse des Märchens nur in Abbreviaturen dargeboten werden. Die ironische Haltung steigert sich bis zur Satire. Was gegen Iffland oder gegen zeitbedingte Ühelstände gerichtet war, erweist über den nur dem Theaterhistoriker erkennbaren Anlaß hinaus zeitlose Bedeutung. Tieck hatte Recht, wenn er behauptete, man könne über das Theater nicht scherzen, ohne über die Welt zu scherzen.. Unter der Regie von Dr. Irimbert Ganser gibt es eine beschwingte Aufführung mit grotesken, karikierenden Akzenten. Margot Skofic stellt voll Spiellaune den Kater Hinze dar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung