6674538-1961_15_15.jpg
Digital In Arbeit

Tiroler Landestheater vor Torschluß

Werbung
Werbung
Werbung

Was immer man heute von Seiten des Landes und der Gemeinde für den Abbruch des „Großen Hauses“ am Rennweg an Begründungen anbietet, die Landeshauptstadt Innsbruck wird ab Juli für mindestens drei Jahre (I) auf Oper und Operette verzichten und sich mit den kleinen „Kammerspielen“ begnügen müssen, wo man unser ungewöhnlich theaterfreudiges Publikum mit Schau- und Singspielen trösten will. Niemand bezweifelt, daß es im alten Haus schon lange und bedenklich knistert, und jeder freut sich auf eine neue, verheißungsvolle Herberge der Bühnenkunst. Nur der schlichte Gedanke stört, daß ein technisches Problem auch den künstlerischen Geist erschlagen und allen Ernstes glaubhaft machen soll, daß man noch niemals auf technische Einrichtungen verzichten und auf bloßen Brettern ausgezeichnetes Theater spielen konnte. Im Nachkriegsdeutschland mit seinen zerbombten Bühnenhäusern spielte man in Wirtshaussälen oder zwischen den Ruinen, und in Innsbruck gäbe es sehr viel bessere Möglichkeiten.

Gekündigt ist das Opernensemble, das seit langem schon unter der musikalischen Leitung von Siegfried N e ß 1 e r das Niveau des Innsbrucker Theaters bestimmte. Die vorletzte Premiere vor Torschluß, Puccinis „Turandot“ in einer mutigen und geschickten Inszenierung des jungen Helmut W1 a s a k, endete mit einer Demonstration des Jubels und der Trauer. Es war ein vorzeitiger Abschied von den großen und kleinen Talenten, die Siegfried Neßler entdeckt und in ihrer Entwicklung gefördert hat. Der strahlende Heldentenor Jose Maria Perez (aus Spanien) in der Rolle des Prinzen Kalaf, die hochdramatische Sopranistin Ruth Pache (aus der Schweiz) in der Titelrolle und die zarte und stimmlich zauberhafte Holländerin Hanneke van Bork als Liu; sie alle verlassen Innsbruck, um an großen Theatern ihre Karriere zu beginnen. Hervorragend der erweiterte Chor ’ -ter der Leitung von Walter Hindelang. A.le Mitwirkenden haben sich hier zu einer Leistung zusammengefunden, die auch Kritiker aus Wien und München überraschte. Aber die Beglaubigung des Großstadtniveaus erreichte ein scheidendes und für

Innsbruck kaum mehr erreichbares Ensemble ausgewählter Begabungen.

Das Schauspiel kam nach einer geradezu grotesken Spielplanmisere mit der Horst-Kepka-Inszenierung von John Osbornes „Blick zurück im Zorn“ zu einem wegweisenden Erfolg. Zwei junge Darsteller aus der künstlerischen Avantgarde, Franz Trager (als Jimmi Porter) und Martha Kusztrich (dessen Frau), bisher ohne rechte Aufgabe, machten zusammen mit dem bewährten Wolf Oeser (als Cliff) das so selten gewordene Erlebnistheater in den „Kammerspielen“ heimisch. Sie offerieren jene zum Lebensstil erhobene „Verzweiflung vom Scheitel bis zur Sohle" samt ihren Abgründen und psychopathischen Verirrungen in solcher Unmittelbarkeit, daß das Publikum in der letzten großen Szene, in der das zitternde und verstümmelte Geschöpf der Liebe zusammenbricht und zu den Füßen des Gefährten kriecht, um wenigstens die Wärme des Fleisches zu finden, daß zu diesem makabren Höhepunkt das Publikum zu denken aufhört und mit Tränen und Erschütterung in die Tragödie einstimmt.

Die folgende Premiere mit Ödön von Horvaths „Der jüngste Tag“ blieb mit Ausnahme der faszinierenden Darstellung des Stationsvorstehers Hudetz durch Volker Chrystoph im Rahmen einer gewissenhaften, künstlerischen Bemühung. Den durchschlagenden Erfolg mit dem Rassenstück „Das Leben meines Bruders“ konnte das Theater der Courage in Wien anläßlich seines zweiten Gastspiels mit „Kataki“ erneuern. Da uns mit dem Abbruch des Großen Hauses nicht nur das Opern- und Operettenensemble, sondern auch bewährte Kräfte des Schauspiels verlassen, erhofft man sich in Innsbruck von der „Courage“ noch manche Tröstung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung