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Turandot und Agyptische Helena

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An einem der letzten Tage der Wiener Festwochen brachte die Staatsoper ihren Beitrag zu eben diesen Festwochen heraus: eine Neuinszenierung von Puccinis letzter Oper „Turandot”, die bis zum Schlufi der heurigen Spielzeit insgesamt nur dreimal gegeben werden kann. Man war auf diese Premiere um so mehr ge- spannt, als die Staatsoper etwas auszu- wetzen hatte, namlich die so fiberaus un- festliche Neueinstudierung der „Meister- singer” zu Beginn der Wiener Festwochen 1961, deren fatalen Auftakt sie bildeten.

Puccini arbeitete an der „Turandot”- PartittiY im Wettlauf mit dem Tod, der ihm- dann doch noch, vor Vollendung des Werkes, die Feder aus der Hand nahm. Sein Freund und Schfiler Franco Alfano hat den dritten Akt vollendet, und andert- halb Jahre nach Puccinis Tod konnte, am 25. April 1926, an der Scala die Urauf- fuhrung stattfinden. Puccini hat von der Musik zu seinem letzten Werk sehr viel gehalten, er glaubte, mit dieser Partitur in eine neue Phase einzutreten und ein Meisterwerk geschaffen zu haben, hinter dem alle seine anderen Opern verblassen. Aber das bezieht sich, von der Gegenwart her gesehen, vor allem auf den Aufwand, den groBen Apparat, die Pretension („Turandot” ist Puccinis einzige Chor- oper), obwohl auch die Musik ihre beson- deren Qualitaten hat.

Gewifi, ..Turandot” ist eine Prunk- und Ausstattungsoper. Aber man kann auch da zuviel des Guten tun, indem man den Kern — das menschliche Drama zwischen den drei Hauptpersonen — so verpackt, dafi er kaum mehr wahrzunehmen ist und seine Strahlkraft einbufit. Margarethe

W a 11 m a n n, die Regie ffihrte, liebt vor allem die Auf- und Umzfige, und so wurde denn auch in ..Turandot” fast ununter- broohen prozessiert und marschiert. Es marschierten auf: Wachen und Soldaten, Bannertriiger und Henker, Priester und Mandarine. Und wenn nicht marschiert wurde, fanden Massenpantomimen und — zum Teil vollig sinnlose — Ballettauf- fuhrungen statt. Man konnte eine lange Liste all dieser Sinnlosigkeiten und Un- gereimtheiten zusammenstellen, • deren schlimmste der Trauerzug mit Lius Leiche ist, ganz im Stil und Tempo der „Gbtter- dammerung”. Unverzeihlioh auch, was die Regie aus der idyllischen Szene der drei lebensfreundlichen Minister Ping, Pang und Pong gemacht hat, die auf Karren vor einen exemplarisch dfirftigen Zwischenvor- hang geschoben werden und deren Diener beziehungsweise Karrenschieber zu ihren elegischen Meditationen eine Art BIP- Pantomime auffiihren. — Von dem Biihnen- bildner Nicola B e n o i s haben wir schon Schbneres gesehen als die Kulissen fiir den 1. und- 3. Akt. . Dip groBe Treppe im I’d-Alfti ‘die TurSaridot ‘fiir ihre prunkvolle 20-Mri’et-Schleppe braiicht, hat dagegen Format und 1st Such dekbrativ, was man vom Hintergrundprospekt nicht behaup- ten kann. Ein geradezu phantastischer Prunk wurde bei den Kostfimen ent- faltet, fur deren Echtheit wohl Herr Chou Ling biirgt und von denen die Tages- blatter zu berichten wissen, dafi sie rund eine Million Schilling gekostet haben. Viele sind von erlesenem Geschmack, etwa die der Krieger, Wachen und Hof- beamten, dagegen erscheint Prinz Kalaf in einer Art besserem Hausrock, und die kleine Liu ist auBerst ungfinstig aus- staffiert.

Eine Auffiihrung der ..Tufandot” steht und fallt, zumindest was den musikali- schen Teil betrifft, mit der Besetzung der Titelrolle. Birgit Nilsson, die hoch- geschatze Wagner-Heroin, ist eine Turandot, wie man sie sich kaum besser. wfin- schen kann. Sie besitzt eine vollig intakte Stimme von enormer Durchschlagskraft, die hervorragend gefuhrt wird. Von an- genehmstem Timbre und Ausdruck (etwas dunkler, als wit’s in dieser Partie ge- wohnt sind) ist die Liu der Farbigen Leon- tine Price. Auch der Tenor Giuseppe di Stefanos (als Kalaf) kann sich horen lassen, obwohl er bei der Premiere keinen besonders guten Tag hatte und sich erst wahrend des letzten Aktes richtig freisang. Bestens einstudiert, sicher und rein into- nierend: die Chore (Roberto Benaglio). Ein genauer Kenner und temperamentvoller Interpret der „Turandot”-Partitur ist Francesco Molinari-Pradelli, auf den sich Solisten. Chor und Orchester gleichermaBen verlassen konnten.

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Entgegen andersartigen Darstellungen hatte die vorletzte gemeinsame Oper von Strauss und Hofmannsthal einen glfinzenden Start. Nach der Urauffflhrung der „A g y p t i s c h e n Helena” an der Dresdener Staatsoper wurde sie im Laufe der nachsten Jahre in diesem Haus noch ffinfzigmal gegeben. Aber die anderen Opernhauser zogen nicht mit. Man schrieb das dem angeblich komplizierten, undutch- sichtigen zweiten Akt zu, der auf An- raten von Clemens Krauss und unter Bei- hilfe von Lothar Wallerstein im Jahre 1933 ffir die Wiener Staatsoper vom Komponi- sten umgearbeitet, teilweise sogar neu komponiert wurde. Aber was war damit gewonnen? Bei der konzertanten Auffiih- rung im GroBen Musikvereins- s a a 1 war diese Frage Jedenfalls nicht zu beantworten. Das Sujet hat immer wieder zur Behandlung gereizt. Schon Herodot stellt das Schicksal der Helena so dar, als sei nicht sie selbst, sondern nur ein Trugbild von ihr nach Troja gebracht wor- den, wo es zehn Jahre lang, und zwar nicht nur mit dem Entfuhrer Paris, gelebt haben soli. Die echte Helena habe der Kpnig Proteus in Agypten zuruckgehalten, und diese sei dann dem arglosen Menelaus zurfickgegeben worden. — Den Dichter Hofmannsthal beschaftigte eine andere Frage: Wie mag das Verhaltnis zwischen Helena und Menelaus gewesen sein nach diesen zehn Jahren der — keineswegs er- eignislosen — Trennung, was geschah mit ihnen weiter? Da muBte wohl, zur end- gultigen Versohnung, eine Zauberin ans Werk, mit Vergessens- und Erinnerungs- tranken. Aber war das alles nicht ein Um- weg? Denn am Schlufi nimmt Menelaus seine schone Helena telle quelle … Dazu hat Strauss eine schwelgerische, ununter- brochen arios fliefiende, prunkvoll-gefallige

Musik geschrieben, die auch der Hymnik und . feierlichen Pracht nicht entbehrt. Schon um der prachtigen Gesangspartien willen sollte man sich dieser Oper auch bei uns wieder annehmen. Die Auffiihrung im GroBen Musikvereinssaal unter Joseph K r i p s, der die Wiener S y m p h o n i- k e r und den S i n g v e r e i n dirigierte, hat Lust darauf gemacht. GroBartig und faszinierend: Inge B o r k h in der Titelrolle, ausgezeichnet Fritz Uhl als Menelaus, sehr angenehm als Zauberin Aithra Theresa Stich-Randall, stark im Ausdruck und bestens fiir die Rolle des Berberfursten Altair geeignet: Walter Berry. — Lang- anhaltender, sehr lebhafter Beifall als Dank fur eine interessante Opernpremiere.

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