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Tugenden des Alltags

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Die augenoncKiicne industrielle una säkularisierte Welt beginnt sich zu wandeln in eine wieder kulturelle und gläubige, wenigstens wagt man darauf aus einigen sich langsam mehrenden Anzeichen zu schließen. Und wenn einmal Kardinal Faulhaber das viel abgewandelte Wort „die Seele der Kultur ist die Kultur der Seele“ ausgesprochen hat, ist der Zusammenhang von Kultur und Glauben angedeutet, den gründlicher auszuführen hier nicht der Ort ist. Das im Erscheinen begriffene Werk Urs von Balthasars „Herrlichkeit“, das in einer theologischen Ästhetik, die es sein will, diesen Zusammenhang in grundsätzlich spekulativer Arbeit zu meistern versucht, hat im vorliegenden Buch der Wiener Ärztin eine ungemein fruchtbare, aus der Praxis kommende, leicht lesbare Parallele gefunden. Jedenfalls könnte so der Kern des Buches gefaßt werden, der dann mit vielen nützlichen und notwendigen Zutaten umkleidet ist. Auch der Glaube ließ sich, auf Grund der schulmäßigen Handlichkeit, von rationellen Techniken anstecken, so daß er auf eine bloße intellektuelle Kenntnisnahme des historischen Christus oder Gottesbeweises reduziert erscheint und die Theologie nach dem humoristisch gemeinten Wort Bruce Marshalls auf eine Theologie der Automation: Man kann auf so viele Knöpfe der Soutane eines Geistlichen drücken wie man will, es kommt doch immer nur ein vorgestanzter Streifen von Glaube und Hoffnung heraus. Chesterton ergänzt dieses Wort: Ein Narr ist nicht der, der den Verstand verloren hat, sondern der. der alles verloren hat, ausgenommen den Verstand.

Daß solche Haltungen von einer leibseelischen Unausgeglichenheit angefangen bis zur Unausgeglichenheit im Glaubensleben führen mußten, ist kein Wunder. Sowohl der Leib wie auch der weite Bereich des Seelischen, von dem der Verstand nur ein beschränktes Teilgebiet darstellt, lassen sich nicht so ohne weiteres rationalisieren. Das Konkrete als das Nur-Materielle zu verdächtigen und Gemüt, Trieb, Bilderwelt als irrational abzutun, ist nicht nur eine gefährliche Simplifizierung, sondern eine noch gefährlichere Verunstaltung des Menschen. Der Protest moderner Geister, Künstler wie Philosophen, gegen diesen Zug der Zeit, dem mitunter auch die Glaubenswelt verfallen ist, ist nicht so einfach von der Hand zu weisen, noch weniger mit frommen Schlagworten zu beantworten. Er mündet in jene Feststellung Camus': Mich interessiert es nicht, ein Heiliger, sondern ein Mensch zu sein. Und daß die Christen wieder Menschen werden, damit die Menschen wieder Christen werden können, ist das Anliegen des Buches. Man sehe sich nur das Inhaltsverzeichnis an, und sofort springen die entscheidenden Anregungen für Leben und Religion, die es zu bieten hat, damit beide wieder menschlich werden, in die Augen. Die Versuchungen und Fehlhaltungen der Zeit einer industriellen Gesellschaft, ihre Krankheitssymptome, wie aber auch die Möglichkeiten, sie gesund durchzustehen, sind aufgeführt.

Absichtlich heißt es „durch “-stehen. Man kann nicht einfach aus der Zeit aussteigen, indem man sie flieht oder sie als die große Verführerin bezeichnet, sie muß gerade von einem Christen angenommen und von ihrer innersten Mitte her konvertiert werden. Man kann sie nicht von außen formen oder mit eines System überstülpen, um sie ins rechte Maß zu bringen. Auch große Programme, auf Tagungen und Kongressen entworfen, helfen für das konkrete Leben im Alltag nicht viel. Hier aber werden die Tugenden des Alltags gezeigt, die ein Mensch, fasziniert von Lebensstandard, verbraucht vom rationell technisierten Berufsleben, von Reklame, Propaganda, Kino nervös überreizt, zu üben hat, und w i e er sie noch üben kann.

Oft hat dieser Mensch ein schlechtes Gewissen, meint, versagt zu haben, weil er zuwenig die Bedingungen, unter denen er zu leben hat, in Rechnung zieht, weil er die gewandelten Umstände, unter denen er zu praktizieren hat, zu sehr von seinen rational aufgereihten, unveränderlichen „ewigen“ Glaubenswahrheiten her sieht und daher weder die Umstände noch die Glaubenswahrheiten lebensvoll an- und einzuverwandeln versteht.

Interessant ist zum Beispiel die Tatsache, daß man heute mit der Bilderwelt der Bibel nicht viel anzufangen weiß, die im Katechismus katalogisierten Lehrsätze darüberschiebt, weil sie anscheinend einfacher zu handhaben sind (auf die (Dauer aber, wie wir an der Glaubensentfremdung beobachten, weitaus größere Schwierigkeiten heraufbeschwören), ferner daß man mit Betrachtungen, die auch die Sinne in Tätigkeit setzen sollen, nichts anzufangen weiß, ja vielleicht sogar stolz darauf ist, mit solch irrationalem Zeug nicht umgehen zu können, und — Höhepunkt der Mißverständnisse — dafür Lichtbildervorträge oder Filme vorzieht (wie in den Exerzitien anläßlich der „Anwendung der Sinne“). Das kann Symptom nicht nur einer Verarmung sein, sondern bereits einer Verstümmelung, wenn nicht gar schon einer Krankheit. Die Reserven, die in der Bilderwelt des Un- und Unterbewußten verborgen sind, gehören gehoben, sie werden zu der Natur, aut der die Bilderwelt der Bibel aufbauen kann.

Man könnte noch beliebig fortsetzen, doch das Buch soll in seiner Rezension nicht vorweeeenommen werden. Sn greife man also zu seiner höchst zeitgemäßen Anleitung zu moderner Glaubenspraxis und Askese, die beim Menschen ansetzt, um ihn erst einmal aus Industrie und Säkularisation zu Kultur und Glauben zu bringen, dann erst werden sich die Zeiten ändern und die Programme, die für ihre Anliegen entworfen werden, fruchtbar sein. Eine Anleitung und Mühe, von der weder der „Lehrer“ noch der „Schüler“ dispensiert werden kann.

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