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Unser Film und die Welt

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Auf einer Tagung in Reichenhall, die dem Österreichisch-deutschen Filmaustausch galt, wählte sich Deutschland aus der österreichischen Nachkriegsproduk’tion die’Filme „Hofrat Geiger”, „Wiener Melodien”, „Kleine Melodie aus Wien”, „Der Engel mit der Posaune”, „Das andere Leben”, „Der himmlische Walzer”, „Rendezvous im Salzkammergut” und „Anni”.

Damit werden, teils tröstlich, teils etwas beunruhigend, einige Erscheinungen unserer Österreichischen Spielfilmsituation maßgeblich erhellt, Fast eindeutig wird durch diese Auswahl der Kreis des Thematischen wie des Formalen begrenzt, der augenblicklich imstande ist, über unser Land hinauszuwirken. Es ist dies jener leichte, flüchtige Begriff von Wien, der sich als Gesang aus den lichten Mauern dieser Stadt und draußen an den Weinhängen, aus den verträumten Gassein seiner Vororte herausschwingt, der von Walzer und Wein, von Stolz, Moser und Hörbiger und von einem Gesicht, halb Lächeln, halb Weinen, bestimmt wird. Und davon haben wir Österreicher ziemlich ausschließlich leben müssen, in den 30 Jahren unseres Films. Kein Wunder, daß wir damit übersättigt sind. Ist es wirklich das einzige, das Beste, das wir können und zu geben haben? Oder sieht uns nur Deutschland so?

Nein. Nicht nur Deutschland will dieses Österreich im Film wie als ein Mittel zur Abreaktion in einer Zeit schwerster psychischer Belastung und wie aus Sehnsucht nach einem wärmeren Schein über grauen Trümmern und noch grauerer Tendenz. Die ganze Welt hätte in Reichenhall genau so gewählt. Es ist, als ob es keine Unterschiede mehr gäbe, zumindest keine spezifischen, höchstens noch graduelle. Freilich, unser -Film kann auch anderes, aber dieses Genre beherrscht er allein, und deshalb geht dieses vor allem in die Welt. Und in die Welt m u ß unser Film, spielt er doch im Lande kaum ein Drittel seiner Kosten herein.

Daß er auch anderes vermag,, bewies ebenso Reichenhall. Die Auswahl des Josef- städter Films „Das andere Leben” und die Bemühungen um Pabsts „Prozeß” zeigten, daß auch unser seriöser Problemfilm, wenn er gut ist und eine saubere Gesinnung da- hintersteht, vom Ausland verlangt wird. Ein Stein fällt uns vom Herzen. Auch dem Film, obwohl stärker als alle anderen Kunstzweige von kommerziellen, politischen und vielen anderen Bedingungen abhängig, sind keine Grenzen gesetzt, sofern er nicht nur ein Film, sondern auch ein Kunstwerk ist. Es ist also nicht nötig, die gesamte kommende Produktion in jenen oben angeführten, bei uns schon etwas anrüchigen Themen kreis einmünden zu lassen. Traurig genug ist es, hier überhaupt von zwei Kreisen, so, als ob sie einander ausschlößen, zu sprechen.’ Es hat doch einmal einen Film namens „Maskerade” gegeben.

Auf einem anderen Gebiet, im Kulturfilm, sind wir glücklicher daran. Auch darüber wollte man. in Reichenhall verhandeln, aber es war leider nicht möglich. Denn unsere Kulturfilmproduktion 1 i e g t bu c h s t ä b 1i c h i n Trümmern. Es gibt keine die Interessen vertretende Organisation, es ist unklar, wie viele und welche Kulturfilme überhaupt, da sind, ja es besteht nicht einmal eine Verbindung zwischen den einzelnen Produzenten. So konnte es sich in unserem geldknappen Lande zum Beispiel ereignen, daß zwei Filme desselben Sujets hergestellt werden — ein richtiger Schildbürgerstreich!

Hier muß jedes Verständnis aussetzen. Konnte sich die deutsche Kulturfilmbranche bisher noch nicht klären, so ist das sicher zu entschuldigen. Deutschland ist noch kein Staat, hat keine Regierung und ist unsagbar stärker reduziert und zerteilt als Österreich. 1946 noch konnte man bei uns das Kulturdilemma begreifen — Ende 1948 nicht mehr. Noch dazu, wo es sich um eine so wesentliche Sache unseres Landes handelt. Hier liegen jetzt noch Trümmer, die mit keiner Aufbaureportage zugedeckt werden können. Natürlich wäre es falsch, die Schuld allein bei der Produktion zu suchen. Auch die große Möglichkeit eines Absatzes in der Welt, für welche die Aufnahme unserer Filme bei internationalen Wettbewerben und Festwochen deutlich sprach und auf die zum Beispiel die eindringliche Forderung nach einem österreichischen Kulturfilm durch den Präsidenten der Weltunion des Dokumentarfilms, Henry Storck, und durch Dr. B e c h 1 i n, dem Vertreter der Dokumentarfilmsektion der UNESCO, hinweist, genügt noch nicht zu einer Herstellung. Dazu bedarf es vor allem einer finanziellen Basis. Hier sind wir versucht, uns einmal nach einem anderen kleinen Lande umzusehen. Der Staat Belgien subventioniert jährlich 30 Dokumentarfilme. Nun sind wir zwar pekuniär um vieles ärmer, aber in anderem Belang wesentlich reicher.

Unser Kulturfilm besäße die glücklichsten Voraussetzungen zur Erfüllung der österreichischen Mission gegenüber der Welt. In seinen Themen erscheint naturhaft vereint, was im Spielfilm bisher leider meist getrennte Wege ging, das in der Welt einmalige österreichische Lebensgefühl, das auch heute noch erlösend und befreiend auf alle Menschen wirkt, und jene aus der Tiefe strömende, künstlerische Urkraft, die auch dem letzten Anliegen der Menschheit eine adäquate Form erkämpft. In dieser Vereinigung zweier, nur scheinbarer Gegensätze liegt das Geheimnis der Höhe, der österreichischen Kulturäußerungen. Gelingt sie dem Spielfilm — doch sie gelingt nicht alle Tage —, so wird er selbst zur Kulturtat. Unter Kulturfilm aber braucht nur aus der Fülle zu schöpfen. Er ist der Vermittler an alle, Vermittler, nicht nur unseres Besten, sondern auch Vermittler dessen, nach dem die Welt verlangt. Was könnte zum Beispiel ein Kulturfilm über Wien, als dem klingenden Herz der Welt, alles aussagen und verschenken Von den Minnesängern bis zu den Philharmonikern spannt sich ein weiter Bogen über Zeiten, Stile und Menschen und doch nur — von Wien bis nach Wien.

Doch auch der Kulturfilm kann mehr als Interpret, kann selbst als Kunstwerk zu einem Stück Kultur werden. Auch dazu sind uns in unseren Kulturfilmschöpfern die Voraussetzungen in die Hand gegeben. Das bezeugte 1947 der Wettbewerb in Cannes, wo Peter Steigerwalds Filme „Olympischer Frühling” und „Unsterbliches Wien”, und Dr. Max Zehenthofers Marionettenfilm „Anna Pawlowna tanzt” hervorragend abschnitten, und erst unlängst S tei- g e r w a 1 d s Orgelfilm in der Wiener Urania, der, von acht Filmen aus acht Ländern, die meisten Stimmen für sich gewann.

Zur Kulturfilmfrage und ihrem notwendig negativen Ergebnis in Reichenhall läßt sich keine Entschuldigung finden. Die Ursachen der weiteren Verzögerung einer geordneten, auf einem größeren Markt basierenden Produktion liegen bei uns und fordern eine endliche Besinnung.

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