Vom Gestank der Tatsachen
Mit einer literarischen Festschrift feierte die Parlamentsbibliothek auf würdige Weise ihr 150-jähriges Bestehen: 35 Autorinnen und Autoren stellen darin ihre Lieblingsbände aus dem Bestand der Bibliothek vor.
Mit einer literarischen Festschrift feierte die Parlamentsbibliothek auf würdige Weise ihr 150-jähriges Bestehen: 35 Autorinnen und Autoren stellen darin ihre Lieblingsbände aus dem Bestand der Bibliothek vor.
Sie ist nicht die größte ihrer Art und vielleicht nicht ganz so berühmt wie die Library of Congress, aber auch der österreichische Nationalrat hat eine eigene Bibliothek, die gut bestückt ist und auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. 1869 als Bibliothek des Reichsrats gegründet, beging die Parlamentsbibliothek 2019 ihr 150-jähriges Jubiläum – anderthalb Jahrhunderte, in denen der Bestand von anfänglich 6000 auf mehr als 370.000 Bücher angewachsen ist. Diese Fülle an hauptsächlich politik- und rechtswissenschaftlicher Literatur steht nicht nur den Abgeordneten des Nationalrats und deren Mitarbeitern offen, sondern jeder interessierten Bürgerin und jedem Bürger, derzeit allerdings nicht im his torischen Lese saal des von Theophil Hansen entworfenen Parlamentsgebäudes, sondern umbaubedingt im Palais Epstein.
Wie kann man das Jubiläum einer Bibliothek würdiger feiern als mit einem Buch, dachte sich wohl das Bibliotheksteam und lud 35 österreichische Autorinnen und Autoren ein, sich aus dem Bestand ihren Lieblingsband auszuwählen und in einem kurzen Essay vorzustellen. Entstanden ist so keine herkömmliche Festschrift, sondern ein vielseitiges Lesebuch, das den Reichtum der Bibliothek vor Augen führt und – indem die Eingeladenen ihre je eigenen Lektüreerlebnisse und Sichtweisen auf das Gelesene in die Öffentlichkeit tragen – diesen Reichtum gleichsam wieder unters Volk bringt.
Das schafft so manches überraschende Moment. Die größte Überraschung ist, dass die Bibliothek nicht nur wissenschaftliche Literatur enthält. So finden sich unter den vorgestellten Werken auch Romane wie Sinclair Lewis’ „Das ist bei uns nicht möglich“ und Wolfgang Koeppens „Das Treibhaus“, ja sogar eine Graphic Novel ist darunter – Art Spiegelmans „Maus“, das die Leiterin der Abteilung Stenographische Protokolle im Parlament, Bettina Brixa, ausgewählt hat, weil sie findet, dass die Art und Weise, wie sich der Zeichner mit dem Holocaust auseinandersetzt, „beispielhaft dafür ist, was es für eine Beschäftigung mit wichtigen gesellschaftlichen Themen braucht“, nämlich den „Willen, [...] Komplexität zuzulassen; die Fähigkeit, mit ihr umzugehen; Verbindungen auch zwischen einander widersprechenden Teilen herzustellen; ein Bekenntnis zur Transparenz, auch jener der eigenen Motive; Intelligenz und Herzenswärme“. Für Brixa sind das „genau jene Qualitäten, die in demokratischen Denk-, Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen gefragt sind“.
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