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John Browns Body

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ER WAR EIN STEIN. Eine amerikanische Iliade. Von Stephen Vincent Ben et. Amandus-Verlag, Wien, 1962. Ins Deutsche übertragen von Toni Schneeder. 420 Seiten, Preis 156 S.

John Brown war ein Fanatiker, vielleicht ein Verrückter. Er hatte einen Bart und tiefliegende Augen. In zwei Sätzen läßt sich sein ganzes Streben umreißen: „Und wenn wir leben, befreien wir den Sklaven. Und wenn wir sterben, sterben wir.“ Als John Browns Körper dann leblos an einem Strick baumelte, erhängt von Truppen aus dem Süden, war der seit langem drohende Bürgerkrieg in Amerika Wirklichkeit geworden. Und er sollte vier Jahre lang (1861 bis 1865) grausamste Realität für Millionen von Südstaatlern und Yankees bedeuten.

Diesen Bürgerkrieg, dieses Kernstück amerikanischer Geschichte, in einer Dichtung zu bewältigen, war das Anliegen des aus einer pennsylvanischen Schriftstellerfamilie stammenden Stephen Vincent Benet. Es gelang ihm in einem großartigen Wurf in Europa 1928: „John Browns Body“ (englischer Originaltitel des vorliegenden Buches). Hierin liegt der Zwiespalt zwischen Absicht und Ausführung. Oft genug wurde betont, daß es bisher kaum eine amerikanische Literatur gegeben hat, daß die großen amerikanischen Autoren erst durch und in der Begegnung mit Europa gereift und gewachsen sind (Ezra Pound, Thomas Wolfe, Emest Hemingway, um nur einige zu nennen). So ist auch die Art des Schreibens und die Art der Geschichtssicht, wie sie St. V. Benet entwickelt hat, uns nahestehend. „Lincoln ist nicht der strahlende Held, wie ihn die amerikanischen Geschichtsbücher bis heute sehen“, schreibt Benet, und schon in diesem kleinen Satz läßt sich Europa nicht verleugnen: eine Skepsis gegen Sonnenscheingesichter und Tanz-durch-die-Welt-Stimmung. Die Episoden, Gedichte, Balladen, aus denen das Gesamtbild jener Bürgerkriegsjahre entsteht, sind in Darstellung, menschlicher Beziehung und Mittel des Ausdrucks so europäisch — weshalb sie für uns auch sehr ansprechend wirken —, daß man manchmal bezweifelt, ob sie ihrer Absicht, amerikanische Geschichte darzustellen, gerecht werden.

Die Schuld daran ist aber sicherlich nicht beim Autor zu suchen. Er ist es ja, der sich bemüht, Amerika eine eigene Geschichte zu schaffen, die diesem Amerika mehr bedeuten soll als Edelwestern und Cinemascopesklavenbefreiungen. Es ist die Tragik des amerikanischen Schriftstellers, für ein Land, eine Nation eintreten zu wollen, in der er selbst nur als „Outsider“ geduldet wird. Amerika fühlt heute mehr denn je seine Ungeschichtlichkeit, obwohl es reich an Geschichten, Taten und Ereignissen sein könnte.

Zu einer „amerikanischen Iliade“ wird diese Dichtung erst dann werden, wenn Amerika nach einer Odyssee durch honiggelbe Plattheit zu seiner eigenen Geschichte zurückfindet, sich selbst verinner-licht. Dann erst werden auch die Nachwehen jenes Bürgerkriegs zu bewältigen sein, die wir heute in Little Rock und Oxford (Missouri) erleben. Dann erst wird John Browns Body endgültige Ruhe finden.

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