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Schopenhauer als Wagner-Kritiker

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Die Wertschätzung hervorragender Künstler und Denker wird nicht immer erwidert. Die Verehrung etwa, die Beethoven einem Goethe entgegenbrachte, war durchaus einseitiger Art; und als Schubert an Goethe ein bewunderndes Schreiben und einige Vertonungen Goethescher Gedichte schickte, erhält er nicht einmal eine Antwort. Beinahe scheint sich die Meinung Hugo Wolfs verallgemeinern zu lassen, wenn er über seine Absicht, Gerhart Hauptmanns „Versunkene Glocke“ als Operntext zu benutzen, in einem Brief an Paul Müller schreibt: „Da leider anzunehmen ist, daß Hauptmann, w i e fast alle Poeten, von Musik gar nichts versteht, dürfte es wohl mit Schwierigkeiten verbunden sein, i h m einen rechten Begriff von der Art und Weise meiner Produktionen beizubringen.“ Daß aber ein bedeutender Philosoph für einen seiner bedingungslosesten Anhänger, für Richard Wagner, nur Worte des Tadels fand, zumindest was die Dichtungen des Meisters anbelangt, ist nur wenig bekannt und stellt in der schroffen Schärfe der Ablehnung durch Schopenhauer einen besonderen Fall dar. Die Angriffe Schopenhauers beziehen sich auf das Ethisch-Moralische der Wagner- schen Dichtung, aber ebensosehr auf das Sprachliche, sei es die Diktion, seien es neue, ihm allzu frei scheinende Wortbildungen, die dem Kritiker-Philosophen als gereimte Ungeheuerlichkeiten vorkamen; jedenfalls hielt sich Schopenhauer bei seinem Urteil über Wagner nicht an eine Grundforderung seiner Philosophie, Mitleid gegen andere, in diesem Fall also gegen Wagner, walten zu lassen.

Der Komponist hatte im Jahre 1854 an Schopenhauer ein Exemplar der „Ring“- Dichtung geschickt, das ausschließlich für einige Freunde gedruckt worden war und im Buchhandel nicht erschien. In diesem Band findet sich für den „Siegfried“ noch der Titel „Der junge Siegfried“, für die „Götterdämmerung“ die Bezeichnung „Siegfrieds Tod“. Dieses Buch, das Wagner mit der Widmung ..Aus Verehrung und Dankbarkeit“ versah, enthält in dicken, energischen Schriftzügen eine große Anzahl vr •

Randbemerkungen Schopenhauers, die ein ziemlich vernichtendes Urteil über Wagner bekunden. Die Szene zwischen Siegmund und Sieglindc in der „Walküre“ versieht er mit der Notiz: „Man kann die Moral einmal vergessen; aber man kann sie nicht maul- schellieren.“ Und neben die Regieanordnung, nach der Sieglinde dem Bruder die Locken von der Stirn zurückschlägt mit den Worten „Wie dir die Stirn so offen steht“ schreibt er unbegreiflicherweise: „Es ist’infam.“ Der szenischen Vorschrift: „Siegmund zieht Sieglinde mit wütender Glut an sich; der Vorhang fällt schnell“ fügt er die Randbemerkung bei: „Denn es ist hohe Zeit.“ Die Behandlung Mimes durch Siegfried findet Schopenhauer höchst ungerecht und notiert: „Empörender Undank, maulschellierte Moral“ (!!!). Sehr viel hatte er an Wagners Sprache auszusetzen; die Worte „sehrend“ und „freislich“ sind immer angestrichen, und zu den in der „Walküre“ gebrauchten Ausdrücken „Felssteine“ bemerkt er: „Ohren, Ohren!“ Die im „Siegfried“ vorkommende Stelle „Müh’ ohne Zweck“ wünscht er laut Anmerkung in „Müh’ ohne Lohn“ umgewandelt. Jedenfalls decken sich alle diese Bemerkungen (zumindest nach der Ansicht Schopenhauers) mit der an einer Stelle des Buches von ihm notierten Forderung: „Die Sprache muß der Leibeigene des Herrn sein.“ Und eine Randglosse in der „Walküre“ „Die Wolken spielen eine Hauptrolle“ zeigt, mit welcher Bissigkeit er zu kritisieren verstand. Es ist zu bedauern, daß Schopenhauer in kleinlich zu nennender Weise über die von ihm festgestellten Mängel die Größe des Wagnerschen Werkes vergißt. Noch bedauerlicher vielleicht der Umstand, daß er dieses Werk, das gerade seiner eigenen Weltanschauung so sehr entspricht, vollkommen verkannt und auch seine Musik nie kennengelernt hat. Er hat einmal gesagt, daß das unaussprechlich Innige aller Musik darauf beruhe, daß sie „alle Regungen unseres inneren Wesens wiedergäbe, aber ganz ohne die Wirklichkeit und fern Von aller Qual“. Vielleicht w’-’re ihm die Richtigkeit dieses seines Ausspruches bestätigt worden, wenn er Wagners „Ring“ gehört hätte!

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