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Unsterbliche Odyssee in neuer Fassung

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IRRFAHRT UND HEIMKEHR. Die Odyssee nach dem Text des Kriegsgefangenenlagers 437. Von Heinz Schwitzke. Walter-Verlag, Ölten. 179 Seiten, 28 Zeichnungen von Richard Seewald. Preis 9.80 sfr.

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IRRFAHRT UND HEIMKEHR. Die Odyssee nach dem Text des Kriegsgefangenenlagers 437. Von Heinz Schwitzke. Walter-Verlag, Ölten. 179 Seiten, 28 Zeichnungen von Richard Seewald. Preis 9.80 sfr.

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Wir kennen die Odyssee nur als Lesebuch, da jeder Versuch, die gewaltige Dichtung als gesprochenen Vortrag darzubringen, an ihrem Umfang scheiterte. Anders als zur Zeit ihrer Entstehung bringt heute kaum jemand die Muße und innere Geduld auf, den Abenteuern des Odysseus an fünf oder mehr Abenden zu lauschen. Das ist ein Verlust, denn diese Dichtung Ist ihrer Entstehung und ihrem Sinn gemäß dazm bestimmt, durch die lebendige Erzählung zu wirken und entfaltet erst durch das gesprochene Wort ihren eigentlichen Zauber. Solange sie zwischen Buchdeckeln eingesargt bleibt, ist sie ein Monument der Vergangenheit, deren inneres Leben nicht wahrhaft erweckt ist.

Nun geschah es im Kriegsgefangenenlager 437, das in den Wäldern zwischen Moskau und dem Weißen Meer lag, daß einige Männer damit begannen, ihren Leidensg^nossen dein Text der Odyssee zu erzählen. Bald zeigte es sich,' daß kein anderes kulturelles Unternehmen in diesem Männerlager der sechstausend auch nur eine annähernd so große Faszination auszuüben vermochte wie das Schicksal des vielgeprüften griechischen Helden. Um dieses Schicksal für die Zuhörer erlebbar und faßbar zu machen, waren die Erzähler gezwungen, drastische Kürzungen zu wagen. Sie gingen an diese Aufgabe nicht mit philologischem Ehrgeiz heran und nicht mit der Absicht, literarische Lorbeeren zu sammeln, sondern mit der schlichten Redlichkeit von Menschen, die einfach im Dienst des Lebens stehen.

Sie schufen nach vielen Versuchen und in ständigem Kontakt mit ihren Zuhörern eine Neufassung, die 6ich in mehr als 300 Vortragsabenden bewährte und, wie alle Augenzeugen jener Tage berichten, eine unerhört intensive Wirkung auf die Lagerinsassen ausübte. Dr. Heinz Schwitzke, heute Leiter des Hörspiels beim Sender Hamburg, leistete die kühne Arbeit der Kürzung und Neufassung mit tiefstem Verantwortungsgefühl und brachte das Werk jetzt als Buch mit schönen Zeichnungen von Richard Seewald heraus. Sein Verdienst ist, daß kein Verlust an echter Hand'lungssubstanz entstand, daß der geistige und gleichnishafte Bogen des Geschehens unangetastet blieb, ja durch den Entfall manches nur schmük-kenden Beiwerks gestrafft und dadurch deutlicher wurde. Auch im zivilen Leben hat eich der Text, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist, vollkommen bewährt, so in einer berühmt gewordenen Radiosendung durch Mathias Wieman.

MEDIZIN OHNE MENSCHLICHKEIT. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Herausgegeben und kommentiert von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Fischer-Bücherei, Band 332, Frankfurt 1960. 296 Seiten. Preis 3.30 DM.

Neben dem „großen“ Nürnberger Prozeß ist der sogenannte Ärzteprozeß (Dezember 1946 bis Juli 1947) von besonderer Bedeutung. Hier wurden Vorgänge und Ereignisse aufgedeckt, die in der ganzen deutschen Öffentlichkeit und in der Welt Entsetzen und Abwehr hervorriefen:

Ärzte hatten unter grober Verletzung ihres Berufseides furchtbare Experimente an wehrlosen Häftlingen vorgenommen und den organisierten Mord im Rahmen des „Euthanasieprogramms“ und der „Ausmerzung unerwünschten Volkstums“ betrieben. Wie dies befohlen und durchgeführt wurde, welche Apparatur der Geheimhaltung aufgeboten wurde und wie jene vorgingen, die als Werkzeuge die Durchführung übernahmen, dies alles zeigt diese Dokumentation unter genauer Verwendung des Aktenmaterials. Was aber bezeichnend ist für die „Nicht-bewältigung“ der Vergangenheit: der Bericht wurde in 10.000 Exemplaren schon einmal, 1948, für die westdeutschen Ärztekammern aufgelegt und verteilt — und totgeschwiegen. Um so wichtiger erscheint die jetzige Neuausgabe, die sich auch durch einen bemerkenswerten wissenschaftlichen Apparat auszeichnet und so würdig die Reihe der zeitgeschichtlichen Publikationen der Fischer-Bücherei vermehrt.

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