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Eine Rechenschaft: Kreuz und Hakenkreuz

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Auf einer der Münchner Kunstausstellungen, in denen die bildende Kunst zur Illustration der nationalsozialistischen Dogmen herabgewürdigt wurde, war ein Bild ausgestellt, das Adolf Hitler . bei einer seiner ersten Reden darstellte. Es war eine jener frühen Versammlungen im Bürgerbräukeller zu München, in denen er mit dem ihm eigenen Aufwand an demagogischer Rhetorik inmitten seiner fanatisierten Anhänger seinen Weg in die Öffentlichkeit begann. Das Besondere aber an dem „Kunstwerk“ war der Titel. Er- lautete: Im Anfang war das Wort.

Dem gläubigen Christen ist dieser Satz als der Beginn des Evangeliums vom ewigen Logos vertraut. Bei seinen Hörern fügt sich ihm die ganze kühne Spannweite des Brückenbogens bis zu jenem „die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater voll der Gnade und Wahrheit“. Darum ergriff ihn ein S&iauer vor dieser Gotteslästerung, die wahrlich nicht mehr Menschenwerk allein war. Als dann Hitler bei der Machtübernahme feierlich allen Religionsbeeinflussungen abschwor, ja die beiden christlichen Konfessionen geradezu zu Grundsäulen des Staatsneubaues zu machen versprach, mochte ihm zunächst auch ein Teil des Kirchenvolkes noch glauben. Doch war damit der Zwedt dieser Erklärung, die von Anfang an rein propagandistisch zu werten gewesen war, erfüllt. In der Folge kam es zu jener, in der Gesdiichte der Kirche kaum je dagewesenen Christenverfolgung, die um so gefährlicher war, als sie planmäßig und überlegt vorging und sich hinter der Maske rein um das Volk besorgter Staatsvernunft verßarg.

Der Kampf konnte kaum von einer Einzelpersönlichkeit, ja von einer kirchlichen Stelle aus in vollem Umfang übersehen und verfolgt werden. Die entscheidenden Erlässe ergingen streng geheim. Jede Stoffsammlung war äußerst erschwert. Vieles mußte vernichtet werden, weil es eine ständige Bedrohung für den Besitzer bedeutete. Vieles fiel bei Hausdurchsudiungen und Verhaftungen den Schergen des Nationalsozialismus in die Hände. In den Verheerungen des Krieges wurde anderes ein Raub der Bomben und Flammen. Das muß man berücksichtigen, wenn man dem Werk volle Gereditigkeit widerfahren lassen - will, das der bayrische Prälat Neuhäusler unter dem Titel „K reuz und Hakenkreuz“ als umfangreiche Materialsammlung zu einem Farbbuch vorlegt. Die Sinnbilder der beiden ungleichen Gegner — ungleich, weil auf der einen Seite Machtlosigkeit, auf der andern alle staatliche und wirtschaftliche Macht standen — gaben dem Buch den Namen. Das zweiteilige Werk sammelt im ersten Teil alle Verfügungen, Verordnungen, Gesetze staatlicher und Parteidienststellen, „Kampfhandlungen der Parteiorganisationen, Umdeutung christlicher Werte, Erschwerung des religiösen Lebern, Bruch des Konkordates, Verunglimpfung und Bedrohung kirchlicher Personen und Einrichtungen, Auflösung kirchlicher Organisationen und die nimmermüde Propaganda gegen die Kirche. Der zweite Teil bringt die Zeugnisse des kirchlichen Widerstandes von Kirchenobrigkeit und Kirchenvolk und ist darum heute für die Beurteilung einer Kollektivschuld des deutschen Volkes nicht ohne Bedeutung.

Wenn man bedenkt, daß das über 400 Seiten starke Buch nur einen Bruchteil des gesamten Komplexes umfaßt, kann man den Umfang ermessen, den die kirchenfeindliche Arbeit des Nationalsozialismus einnahm. Daran kann man aber auch erkennen, welche Bedeutung der Nationalsozialismus der katholischen Kirche in der Erziehung der Mensdicn gegen Barbarei und Versklavung, gegen Haß und Verunmenschlichung zuerkannte.

Aus den angeführten Schwierigkeiten ist es zu erklären, daß sich ein großer Teil der abgedruckten . Urkunden auf das Land Bayern stützt, daß daneben die anderen Länder Deutschlands nicht gleichwertig und Österreich überhaupt nicht nennenswert vertreten sind. Zu ergänzen wäre die Sammlung auch noch durch den Streit um Meister Eckhardt, der bekanntlich durch die „Studien zum Mythos“ ausgelöst wurde. Auch Rosenberg selbst, der als geistiges Haupt der Kirchenfeinde angesehen werden muß, wäre stärker heranzuziehen. Das alles mag aber . einer späteren, vollständigeren Sammlung vorbehalten bleiben.

Ein ähnlicher Bericht aus den Reihen der evangelischen Kirche ist bereits erschienen, dem Rezensenten aber noch nicht zu Gesicht gekommen. Der Streit um die Einigung der evangelischen Kirche in Deutschland hat eigentlich zum erstenmal die Weltöffentlichkeit gegen das nationalsozialistische Deutschland auf den Plan gerufen. In ihm hat auch der Nationalsozialismus seine erste empfindliche Sdilappe erlitten, so daß er von da an seine Taktik grundlegend änderte.

Das vorliegende Buch stellt in dieser Kürze und bei den obwaltenden schwierigen Umständen eine erstaunliche Leistung dar Es legt aber zugleich ein glänzendes Zeugnis ab für den Glaubensmut und die Oberzeugungstreue des deutschen Katholizismus in den Jahren nationalsozialistischer Herrschaft. Es ist alles andere als eine angenehme Lektüre. Bitterkeit und Empörung, vermischt mit den eigenen schmerzlichen Erinnerungen, steigen einem immer wieder auf, wenn man die von verstecktem Hohn und hämischem Grinsen des Peinigers überschatteten, sich kühl sachlich gebenden amtlichen Erlässe liest, die als Kautschukgesetze zu jedem erwünschten Eingriff in das kirdiliche Leben Handhabe boten, bis hin zu jenen poetischen Erzeugnissen, die, gleichwertig vertont, von den heiseren Kehlen einer tapferen Kämp-fersdiar durch die Straßen gebrüllt wurden.

Die Kirche ist nicht als Ankläger in Nürnberg vertreten. Sie hätte ein Recht darauf. Sie hat am schwersten gelitten. Ihre Einbußen an Vermögenswerten, an Kunstschätzen, an Menschen, an Freiheit stehen den Kriegsverlusten der anderen Opfer des Nationalsozialismus mindestens nicht nach. Die wirtschaftlichen und politischen Schäden des Krieges lassen sich, wenn auch nur langsam, wieder ausgleichen. Die geistigen Verheerungen, die der Nationalsozialismus schon im Frieden, im Vollglanz seiner damals unangefeindeten Staatsmacht, angerichtet hat, sind nicht zu übersehen. Sie wirken weit in die Zukunft hinein. Hier ist mehr als ein Land verwüstet worden, hier siud Menschenseelen zerbrochen und geschändet worden. Die Kirche klagt nicht an. Sie klagt aber um jede Seele, die in die Finsternis sich verlief. Und sie ist bereit, heimzunehmen, was heimfinden will in Reue, in Ehrlichkeit, in Erkenntnis des Ecksteins, den die Bauleute von gestern verworfen haben, der nun wieder zum Grundstein des neuen Welien-baues werden muß, soll die neue Ordnung nicht abermals da enden, wo das „tausendjährige Reich“ endete: in Sumpf und Chaos.

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