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Zweimal Anglophiles

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„DIE SCHMÄHSCHRIFT“ von Stefan H eym, mit 8 Collagen von Horst Hussel, 133 Seiten, sFr. 9.80. — „TOCHTER“ von Alfred Andersch, Erzählung, 84 Seiten, beide Diogenes-Verlag, Zürich. sFr. 6.80.

Da macht ein geborener Chemnitzer, Emigrant von 1933, amerikanischer Soldat von 1944, Münchner Journalist und schließlich gefeierter Schriftsteller der DDR, in den Tagen vor der Invasion, in London einen Fund: Ein mehrhundert Jahre altes Manuskript, das von einem Prozeß zwischen der englischen Regierung und Daniel Defoe berichtet. Er macht daraus ein englisch geschriebenes, fingiertes Tagebuch. Und nun übersetzt er es uns auch noch in „unser geliebtes Deutsch“. Kein Wiener „Schmäh“ also verbirgt sich hinter dieser Schmähschrift, sondern eine durch einen Professor der Ost-Berliner Humboldt-Universität beglaubigte und damit gesicherte historische Tatsache. Kultiviert geschrieben, besitzt sie tatsächlich deutliche Spuren des gewiß humorigen Originals, dem der Autor in einem Vorwort in Treuen zu folgen verspricht. Da hat also Robinsons weltberühmter Vater in einer „das kürzeste Verfahren mit den Abweichlern“ betitelten Schrift (wie wohl das dem neuesten Parteichinesisch entstammende Wort „Abweichler“ im aufgeklärten England gelautet haben mag?!) sich über ein paar Hochgestellte lustig gemacht und wird nach mancherlei Umwegen an den Pranger gestellt. Und da passiert's! Es passiert, was nie vordem noch nachher je passiert ist: Das Volk befreit seinen Schriftsteller. Das ist Kino. Trotzdem würden die James Ensor nachgefühlten Collagen unheiler Menschenbilder zwischen den gedruckten Seiten zum literarischen Gustostückel passen, wenn einem nicht gerade sie daran erinnerten, woher, nicht das Buch, aber der Autor kommt. Unfaires Verhalten Regierender gegenüber Regierten sowie Unheiles Menschenbild als beklagenswerte Folge anzuprangern, sollte nur dem gestattet sein, der es nicht mit solchen Regierenden hält. Für Alfred Andersch, Jahrgang 1914, und somit der Kriegs- und bereits sehr fortgeschrittenen Vätergenera-ration angehörend, ist die Anglo-philie seines Helden ein Vorwand für das äußere Geschehen in seiner Erzählung: Eine Reise nach England. Seit seinem Urerlebnis von 1944, der Freiheitsgewinnung durch Desertion, versucht dieser ausgezeichnete Schriftsteller immer wieder von neuem in Roman und Erzählung am Thema der Freiheitsgewinnung seine inzwischen auch dem Ausland bekannt gewordene Feder. Aber was einst, in den „Kirschen der Freiheit“, beim ersten Wurf so überzeugend gelang und jeden nicht ganz Unbelehrbaren erschüttern mußte, das erregt hier wohl Interesse, geht aber nicht unter die Haut.

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