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Zu Schul- und anderer Baupolitik

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Nichts scheint für die Beurteilung des „zulässigen Maßes“ in der Ausgabe öffentlicher Gelder aufschlußreicher zu sein als eine der letzten Nummern des .Life“, dessen Titelblatt neben einem allerreizendsten Schulmädel die düstere Aufschrift trägt: „Das Schulwesen steht vor einer Krisis.“ Die Krisis ist auf vielen Innenseiten bebildert und schaut etwa so aus: im Schwimmbecken des Mädchengymnasiums X machen die Schlanken, die Fünfzehnjährigen eine „Leiter“. Kopf links, Kopf rechts, im schicken Badedreß, liegen sie im smaragdenen Wasser wie bunte Forellen, die Geometrie verstehen und deshalb „Figuren schwimmen“. Oder: in der Kleinkinderschule Y ist Mittagspause und die Englein schlafen, in weiche, bunte Decken gehüllt, auf dem blitzblanken Boden, betreut von einer blitzblanken Lehrerin, die eben aus Elisabeth Ardens blitzblanker Werkstatt kam. Oder: in einer Turnhalle, die von beiden Seiten Licht bekommt, deren Decke von schichtweis geleimten, wie aus hellen Pischin-ger- oder vielmehr Doboschschnitten gemachten Holzrahmen getragen wird, spielen Mädel und Buben — karierte Jacken, gestickte Kleidchen — mit einem gestreiften Riesenball. Das Allerschönste ist aber eine Farbaufnahme über zwei Seiten, die gar keine Schule, sondern den „Unterricht im Freien“ vor unsere alten Augen zaubert — die solches nie erlebten und es wie einen Traum in unsere eigene entbehrungsreiche Schulzeit einblenden möchten. Mehr als drei Viertel der Blattseiten sind von einem über alle Maßen schönen Baum eingenommen, einer Lebenseiche oder Hickory. In dieser Eiche sitzt wie Pan im Gesträuch der Schulmeister. Man hat einen Eisenträger durch die Äste geschoben, so daß er sicher und respektabel sitzt und seine goldenen Worte mit Würde vorbringt. Denn unten auf der Wiese, wie die entzückendste bunte Flur, wie Mohn und Kornblume und Löwenzahn und Maßliebchen, breitet sich ein hundertköpfiger Mädchenflor, hebt die ondulierten Köpfchen und lauscht Pestalozzi-Pans Weisheit.

Solcher Aufnahmen gibt es viele. Alle rufen Alices Wunderland in die Seele. Eine Gewerbeschule für Neger ist wie eine auf Hochglanz geputzte Fabrik oder im Schlaftrakt wie ein weißes Sanatorium. Sie ist von einem berühmten aus Finnland kommenden Architekten erbaut. Und die merkwürdige Art der Indianer, die steinerne Rundhütte, ist auf das solideste in dem kreisrunden, balkengedeckten Navajoschulraum nachgeahmt. Es bedarf keiner Erwähnung, daß bei den Kleinkinderschulen nicht Stockwerkbau, sondern kostspieliger Flachbau die Regel ist, der zum Verlassen der Klasse und zum Unterricht im Freien, im riesigen Campus einladet. Die Klassen verlieren alle Strenge. Das Licht kommt von beiden Seiten oder übers Eck. Keine Spur mehr von festem Gestühl oder von den verstellbaren Bänken, die die Oberlehrer erfanden und bei denen ein aufklappbarer Fußrost über dem —i wegen der Hygiene — geölten schwarzen Fußboden war. Natürlich ist überall Deckenlicht vorgesehen, gefiltertes, gebündeltes, welches „besser ist als das natürliche“. Nachdem man eine Weile geblättert und Freude darüber hat — wie wenigstens in einem Teile der Welt die Menschenfreundschaft, die Kinderfreundschaft, gedeiht, wie irgendwo weit drüben ein Ideal aufgestellt und Opfer gebracht werden, die einst auch unseren Enkeln nützen —, erinnert man sich der Titelschlagzeile und fragt, wieso man überhaupt in Gottes eigenem Land von „Crisis“ redet. Die Antwort geben zwei nüchterne Bildstatistiken. Die eine sagt, daß es von den schönen neuen Schulen nur 5 Prozent gibt und daß also die Mehrzahl der amerikanischen Kinder in Gebäuden er-

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