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Zwischen Lenin und Montreux

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Daß einer der Hauptpfeüer des Fernsehens die Dokumentation und die eventuell damit verbundene Zeitkritik ist, dafür erhielten wir in der vergangenen Woche neuerlich einen recht eindrucksvollen und überzeugenden Beweis. Diesmal lieferten Persönlichkeit und Werk Lenin* — sein 100. Geburtstag — Material für die Untermauerung dieser These. Den Reigen der überaus vielfältigen Deutungen über Wesen, Wert und Bedeutung dieses Politikers und Revolutionärs, dessen Erscheinen den menschlichen und staatlichen Beziehungen in der. ersten Hälfte des 20. Jahrhundert* unzweifelhaft einen entscheidenden Stempel aufgeprägt hat, eröffnete auf unseren Bildschirmen der aus sowjetischer Sicht gestaltete Lenin-Film „6. Juli 1918“. Wohl webt auch dieser vor etwa drei Jahren entstandene Streifen eine von den diversen Wandlungen der Parteidoktrin beeinflußte Gloriole um Lenins Haupt, aber es fehlt ihrer Darstellung der Feueratem und die künstlerische Intensität früherer Leinwandschöpfungen über die erregenden Anfänge der Sowjetmacht. Der Lenin dieses Films — von Juri Kajurow gut gespielt — ist mehr der große Organisator und Stratege der Revolution als der die Massen begeisternde aufrührerische Völkstribun.

Diese Charakterisierung gilt auch für die sonst durch allzu viele Details gedehnte Spielhandlung mit dem Grundtenor der drei Tage später ausgestrahlten dokumentarischen Zusammenstellung des ZDF zum Thema „Lenin veränderte die Wel t“. Aus Interviews mit jetzt noch lebenden Zeitgenossen Lenins, wie dem Schweizer Sozialisten Dr. Ferdinand Böni, dem Mitglied des Politbüros der finnischen KP,Hertta Kuusinen, aber auch dem einstigen Bewacher des aus seinem Schweizer Exil durch Deutschland in die Heimat zurückkehrenden Revolutionärs, formte sich nicht nur ein facettenreiches Bild Lenins, sondern darin spiegelte sich auch die Enttäuschung prominenter Anhänger der kommunistischen Ideologie über die Verfälschung der Maximen Lenins, vor allem durch seinen Thronerben Josef Stalin, wider. Dies kam vor allem in den beinahe leidenschaftlichen Darlegungen des aus Leipzig nach Tübingen geflüchteten Gelehrten Professor Ernst Bloch zum Ausdruck. Insgesamt eine signifikante Darstellung der Materie „Lenin und der Weltkommunismus“.

Angeblich wie gebannt blicken die Fernsehgewaltigen vieler Nationen — sofern sie sich mit dem Metier „Unterhaltung“ beschäftigen — in diesen Tagen nach Montreux, wo heuer zum zehntenmal die „G oldene Rose“ für die angeblich unt-zigste, einfallsreichste, kurz die attraktivste Unterhaltung via Bildschirm verliehen wird. Österreich ist auch mit von der Partie. Angeblich muß man sich dort in seinen Beiträgen besonders extravagant und pop-art-ig geben, um überhaupt ernstgenommen zu werden. In diesem Sinn erlebten wir unsere zur offiziellen Wettbewerbsteilnahme erkorene Show „Mimi(cri)“ aus hirn- und regielicher Intuition Axel C or-tis. Eine manieriert verpackte, mit einer reichlich strapazierten Trickkamera durchsetzte Röntgenologie unserer neurotischen Welt und Zeit. Gemixt nach dem angeblich überaus erfolgreichen Rezept: Düpiere und schockiere deine Zuschauer, mache dich über sie lustig und gebärde dich so unverständlich wie möglich, dann kannst du des Beifalls der angeblich Progressiven sicher sein. Wir finden aber, daß diese gar nicht sehr unterhaltsame, für eine knappe Million Schilling produzierte „Narrenfreiheit“ doch etwas zu teuer kommt, um angeblich zu beweisen, daß es in Österreichs TV-Studios nicht schmalzig und hinterwäldlerisch zugeht. Was heißt eigentlich „Mimikry“? Nachäffung oder Nachahmung. Kommentar überflüssig.

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