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Beginn der Wiener Festwochen

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Gerhart Hauptmann und Schiller leiten in unserem Staatstheater die Wiener Festwochen 1956 ein: „Der Biberpelz“ im Akademietheater, eine Neubesetzung des „Don Karlos“ im Burgtheater.

Man kann den „Biberpelz“ bekanntlich verschieden interpretieren. Diese „Komödie“ von 1893 ist tin Drama, das tief hineinleuchtet' in die Tragödie des wilhelminischen Zeitalters. Als großes Zeitstück steht es neben den seltenen großen Revolutionsdramen der neueren europäischen Bühnendichtung. Man kann dieses Stück aber auch anders auf die Bühne stellen: breit, behaglich, so wie nicht selten Kleists „Zerbrochener Krug“ vorgestellt wird. So hat es Ulrich Bettac als Regisseur getan. Nun steht ein „Sittenstück“ vor uns, in tonigen Erden gemalt, vergleichbar flämischen Genrebildern. Käthe Dorsch als Waschfrau Wolff ist nicht die große Revolutionärin, sondern eine Frau aus dem „Volk“, die mit derber Lhkraft, zugleich leise und lind, ihre Welt beherrscht. Theo Lingen als Amtsvorsteher Wehrhahn arbeitet sparsam sieher eine charakteristische Kümmerform der Gattung „Mensch“ heraus. Gusti Wolf als Adelheid gibt eine ihrer wohlbekannten munteren Mädchen, deren Tonfall man nicht vergißt.

Im Burgtheater hat nun Walter Reyer nach Oskar Werner den „Don K a r 1 o s“ in der Neuinszenierung der Eröffnungspremiere übernommen. Reyer ist hochbegabt. Gerade deshalb dürfte es sich empfehlen, begabte junge Kräfte nicht zu überfordern. Reyer hat in den letzten Monaten eine ganze Reihe großer und schwerer Rollen übertragen erhalten. Das ist zuviel. Sein Don Karlos wirkt wie eine Mischung von Elementen aus seinen letzten Rollen. Das ist schade, kann aber, wenn es mit natürlichen Dingen zugeht (wenn also ein Schauspieler nicht ganz tief aus dem Magischen her schöpft, was selten genug der Fall ist), nicht anders enden. — Eva Katharina Schultz erfüllt optisch ihr Plansoll als Königin; sehr Beachtung verdient Elisabeth Höbarth, die in letzter Zeit immer stärkere Leistungen herausstellt. Hier ist viel mehr da, als es auf den ersten Blick oft scheint: eine eigentümliche, beherrschte Vitalität, Klugheit und Kraft des Ausdrucks. Der neue Alba, Stefan Skodler, beschränkte sich darauf, seine schwierige Rolle anzudeuten.

Großes Theater im Volkstheater. William Faulkner „R eq u i e m f ü r eine Nonne“ ist in den Ietzterr Jahren soviel diskutiert worden, daß hier gerne darauf verzichtet wird, nochmals zu „erklären“, warum dieses Stück „Requiem“ heißt, obwohl es, unter anderem, von einem Kindermord handelt und „Nonne“ sagt, wo die weltgeschichtliche Gegenrolle der Nonne, die Dirne gemeint ist; nicht willkürlich, und auch nicht nur, weil im Amerikanischen nun „Nonne“ auch das Gegenteil bedeuten kann, sondern eben aus einem Grunde, der zu den tiefsten Beweggründen für Faulkner gehört: sein Gesamtwerk stellt den Versuch einer großen Homodicee dar: Rechtfertigung des Menschen, der seine Schuld erkennt, auf sich nimmt, im Zerbrechen an ihr erhellt und ausgefaltet wird bis in früher unbekannte Tiefenschichten. Das ist übrigens eine der legitimsten Versuche einer Theodicee, einer „Rechtfertigung“, eines Gottesbeweises in unserer Zeit: der Mensch, das unheimlichste und unbekannteste Wesen, weist in sich Hintergründe, Landschaften des Chaos und Kosmos auf, in denen alle „Mächte“ zugegen sind. Es verdiente zudem, an Hand dieser großartigen Aufführung (Günther Haenel als Regisseur ist heute eine der allerstärksten und saubersten Kräfte unseres Theaters!) am Exempel des Zusammenspiels deY norddeutschen Hauptdarstellerin Marianne Hoppe mit der Wiener Negermagd Martha, Wallner, mit dem Dichter des amerikanischen Südens William Faulkner einmal herausgearbeitet zu werden, wie sehr die Menschheit heute in Tiefenschichten miteinander kommuniziert: nicht nur in den Abwässern, in den Kanälen des Psychopathischen, sondern auch in jenem weit fächernden Antennensystem, das es Menschen sehr verschiedener Herkunft und Artung ermöglicht, die Strahlungen aufzunehmen und weiterzugeben, die heute unsere Erde einhüllen. — Marianne Hoppe gibt der Aristokratin des amerikanischen Südens alles das, was Alteuropa an Schizoidem, Dekadentem, aber auch an seelisch Differenziertem und an echter Erschütterungsmacht in denkwürdigen Frauengestalten darzuleben vermochte. Mathias Wiemann als ihr Verteidiger präsentiert eine Kultur intellektualer Einfühlung, die den Rahmen für diese außerordentliche Frauengestalt schafft. Die karg gehaltenen Nebenrollen verdienen doch eine aufmerksame Beachtung: sie umstehen ein Seelendrama, wie es in ebenbürtiger Raffinesse in Europa heute nur von Montherlant bühnenmäßig geschaffen wurde. — Eine Festwochenaufführung, die eine Fahrt nach Wien lohnt.

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