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Ein Krimi zum Mitspielen

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Nun ist es also auch in Österreich zu sehen, Paul Pörtners vielberedetes Kriminalstück zum Mitspielen: es heißt „Scherenschnitt” und hat mit Schattenrissen nicht das geringste zu tun. Um so mehr aber mit Mordverdächtigen, der Kriminalpolizei und einem gespannt mitgehenden Publikum. Der Vorgang ist etwa folgender: in durchaus naturalistischer Weise wird zunächst ein geschickt gebauter Kriminalfall szenisch dargestellt. Bei den darauffolgenden „Erhebungen” des Kriminalkommissars kommt es zur Rekonstruktion des Falles. Das Publikum wird aufgefordert, die Richtigkeit des Ablaufes zu kontrollieren. Die Frage „Wer ist der Täter?” wird nun durch Abstimmung vom Publikum selbst entschieden, nachdem es durch Zwischenfragen und -rufe die Ermittlung in die Hand genommen hat. Die Schauspieler müssen ihre Ver- teidigungs- und Angriffsargumente frei improvisierend selbst erfinden, sind dabei aber gebunden durch die Charakterisierung ihrer Rollen im ersten Teil des Stücks. In der Pause wird die Darstellung jener Schlußversion vorbereitet, für die der größere Teil des Publikums sich durch Abstimmung entschieden hat. Die vier möglichen Varianten sind vom Autor skizziert, die Schauspieler müssen nach der Art des Stegreifspiels den Schluß ausführen.

Das ist modernes Theater im besten Sinne: einmal, weil die Illusion auf die selbstverständlichste Weise immer durchlöchert wird, und dann, weil der Zuschauer hier aus seiner passiven Rolle in eine ganz und gar aktive Teilnahme an der Aufführung hinüberwechselt. Da er den Spielverlauf mitbestimmen kann, ist er auch mitverantwortlich für den Theaterabend. Deshalb ist, -wie Pörtner meint, das „Mitspiel” in hohem Grade politisch, weil es die Zivilcourage herausfordert und somit eine Übung in öffentlicher Meinungsäußerung darstellt. Im Kellerstudio der Grazer Spielvögel, wo das Stück seine österreichische Erstaufführung erlebte, nützt das Publikum weidlich die ihm zur Mitsprache gebotene Gelegenheit, so daß im Verlauf einer Woche ohneweiters vier Varianten des Stückes zu sehen sind — je nach Wunsch der Zuseher. Ingo Wampera hat das neuartige Stück mit lockerer Hand inszeniert, und das Publikum des Kellerstudios freut sich über diese leichtere Kost nach so viel geballter Avantgarde der letzten Monate.

Das Grazer Schauspielhaus erwarb sich Verdienste um die Aufführung eines — allerdings schwächeren — Werkes des genialen ödön von Horvath. Das in Wien mehrmals gespielte Stück „Don Juan kommt zurück” (ursprünglich: „Don Juan kommt aus dem Krieg”) benützt den kantigen Realismus des Volhsstücks nur als Grundlage für das Geschehen in einem beinahe gespenstischen Zwischenreich voller Symbole: Don Juan, der stets nach dem Absoluten trachtet und es niemals finden kann, erfriert in der Finsternis der Lieblosigkeit, deren Repräsentant er selber ist. Dieses Stück der 35 Frauen ist ein Drama der Nebenrollen. Es ist klar, daß ein mittleres Theater wie Graz nicht in ausreichendem Maße Darstellerinnen zur Verfügung hat, um alle diese kleinen, aber für die Atmosphäre des Stückes so wichtigen Partien erstklassig zu besetzen. Unter dieser Tatsache und einer gewissen Monotonie litt denn auch die ansonsten recht tüchtige Inszenierung Rudolf Kauteks.

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