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Freiheitslegende

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Nach einer heiteren Spielzeiteröffnung der Grazer Kammerspiele mit einer hübschen Aufführung von Goldonis „Diener zweier Herren und Gianninis „Bambino", einer unsinnigen Banalität, die Theo Frisch-Gerlach als Spielleiter geschickt zu einer Parodie auf stumpfsinnige Filmsentimentalitäten umgearbeitet hatte, begann das Stadttheater — vulgo „die Oper" — mit Schillers „Wilhelm Teil“ die Reihe seiner Klassikeraufführungen. Damit zog das Sprechstück wieder ins große Haus ein, nachdem das wegen 6einer Ver- wahrlostheit zwar oft geschmähte, jetzt aber von jedem Theaterbesucher wehmütig betrachtete Schauspielhaus 6eine Horten gesperrt hatte. Nun fristet das Schauspiel das Dasein eines notdürftig untergebrachten Flüchtlings, denn das Opernhaus, heute das größte bespielte Theater Österreichs, ¡6t aus verschiedenen Gründen nicht die geeignetste Stätte. Da ist die Größe des Raumes, die die Stimmen der Schauspieler 6chluckt und viel mehr Zuschauer faßt, als zu erwarten sind; da 6ind die schwierigen Probenverhältnisse, weil die Bühne nun überbeansprucht ist. Um 60 erfreulicher war der Erfolg des „Teil vor einem vollen Haus.

Helmuth Ebbs gelang nicht nur das Wagnis einer kühnen Bearbeitung, sondern im wesentlichen auch die straffe Inszenierung, die ihm vor Augen schiwebte. Das Idyllische, da6 bei Schiller immer wieder ausgleichend die Ha6t der Handlung beruhigt, fiel fast zur Gänze fort, e6 blieb ein Szenenablauf von packender Dynamik, der unmittelbar mit dem flüchtigen Baumgarten einsetzte und ebenso wirkungsvoll dien Schlußauftritt in das Revolutionsbild hineinstellte, die beschauliche Heimkehrszene mit ihrem dämonischen Parricidazwischenspiel demnach fortließ. Von den berühmten zwei Handlungen des Stückes, der Teil- und der Volkshandlung, dominierte vollends die zweite, was weniger einer getreuen Wiedergabe Schillerscher Ideen als einer packenden szenischen Darstellung zugute kam. Als ein Meister expressiven Stils, zu dem ihm leider vielfach das Ensemble fehlt, rückte Ebbs einzelne Szenen in eine bedrängende Gegenwartsnahe, etwa den Bau von Zwinguri durch ein Heer halbnackter Arbeitssklaven, die nach dem Takt des Fronvogts ihren eigenen Kerker errichten.

Das Publikum war sichtlich hingerissen. Und doch drängt sich uns die Frage auf; Dürfen wir, Kinder des 20. Jahrhunderts, auch gläubig hinnehmen, was Schüler uns künden will? Sind nicht seine hohen Worte von Freiheit und Recht, besser, der Weg, den er uns weisen will, sie zu erringen, nur Legende, Träume eines versunkenen philosophischen Idealismus? Weil wir Schiller um seiner Kunst und seiner Persönlichkeit willen immer geliebt haben, stimmen un6 seine Worte oft wehmütig und erfüllen uns zugleich mit Angat, daß dieses prächtige Pathos auch unseren Kindern wieder den 60 schmerzlich erworbenen Blick in die reale Welt rauben könnte.

Denn so beklemmend echt das „Spiel von der Knechtschaft“ in den ersten Akten des „Teil von uns erlebt werden kann, 60 theatralisch erscheint uns sein Spiel von der Freiheit. Und doch wird das Publikum hingerissen, und dies nicht nur äußerlich, und geht weit beglückter pach Hause als nach den „bösen Moderneri“, die keine Lösung bringen, weil sie keine wissen. Aber es ist nicht so einfach, durch Tyrannenmord und Revolution die Freiheit zu erringen, nicht nur, weil der Kaiser immer neue Vögte finden wird, die er in die Waldstätte schicken kann, auch weil die Geßler und Landenberg im Lande selber wohnen, selbst in dem einen oder ändern, der — in bester Absicht — am Rütli mitgeschworen hat. Nur in der letzten Szene, in der Grazer Inszenierung wirksam heraus- gestellt, weist Schiller einen realen Weg: als der Adelige seinen Knechten freiwillig (die Freiheit schenkt und damit 6ich selbst aus der Ausgeschlossenheit befreit, durch Verzicht auf die Macht eine größere erwirbt, die Liebe seiner Brüder.

Die Kraft des großen deutschen Dramatikers hat auch die Grazer Wilhelm-Tell-Auf- führung wieder bewiesen, zugleich aber die Tragik des idealistischen Dichtere. Auch diese Generation hat ihren Idealismus und will trotz allem an das Gute im Menschen glauben. Aber es ist ein anderer Weg, den sie gehen muß. Sie darf sich nicht tragen lassen von großen Worten und legendären Heldentaten, an großen Worten i6t diese Generation schon mehr als einmal gescheitert. Uns ist es gegeben, das Gute im Schatten der Wirklichkeit zu suchen, im Leben und in der Kunst, denn im Glanze der großen, sich heldisch gebärdenden Welt sind die Worte Freiheit und Gerechtigkeit immer nur in die Klingen der Schiwerter geprägt — die haben zweifache Schneiden.

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