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Manipuliert

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Handke ist Kärntner, Österreicher. Sein Sprechstück „Kaspar“ wurde aber nicht in Wien, sondern in der Bundesrepublik herausgebracht, man spielte es dort an vielen Bühnen. Auch in Graz, Innsbruck, Linz gelangte es zur Aufführung, nun, spät, folgt das Wiener Kleine Theater der Josefstadt im Konzerthaus nach.

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Handke ist Kärntner, Österreicher. Sein Sprechstück „Kaspar“ wurde aber nicht in Wien, sondern in der Bundesrepublik herausgebracht, man spielte es dort an vielen Bühnen. Auch in Graz, Innsbruck, Linz gelangte es zur Aufführung, nun, spät, folgt das Wiener Kleine Theater der Josefstadt im Konzerthaus nach.

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Durch die vielen kritischen Auseinandersetzungen mit den zahlreichen bisherigen Inszenierungen ist es allgemein bekannt, daß diese Szenenfolge keineswegs, wie man vermuten würde, den geschichtlichen Kaspar Hauser vorführt, sondern lediglich — als Bühnenexperiment — seine Situation, nämlich die eines Menschen, der, ohne Sprache aufgewachsen, erst durch die Sprache zu einem Ich wird. Handke postuliert dabei die Identität dieses Ichs einschließlich seiner Eigenschaften mit dem erarbeiteten Sprachschatz, mit dem Denk-inhalt, wodurch Kaspar zugleich die äußere Wirklichkeit erobert. Das wirft Fragen auf, die von der Wis-

senschaft zu beantworten sind. Transzendentes ist bei Kaspar nicht vorgesehen.

Dieses Frankensteinsche Monster, dieser King Kong, wie ihn Handke bezeichnet, hält einen abendlangen Monolog, wobei er in seiner Entwicklung durch Finsager vom Lautsprecher her vorangetrieben wird. Dabei verlautet, daß Sätze dazu da seien, um Unordnung in Ordnung zu verwandeln, doch ergibt sich ta vollem Gegensatz dazu Unordnung zum Quadrat. Es wäre für Sprachforscher eine Aufgabe, das sprachliche Agens dieser Vorstellungsfolgen zu untersuchen. Handke reiht sowohl bei den Einsagem wie bei Kaspar additiv Inkohärentes, er vereint im selben Satz Behauptung und Negation, er zersplittert Sätze, permutiert ihre Teile, das alles mit einer Rasanz sondergleichen. Damit wird jeder Sinn völlig zerrieben, wird die Sprache jedes Inhalts beraubt, Sprache ist nicht mehr Sprache, sondern reduziert sich zum Lautgemenge. Handke will die ..Manipulierung“ des Menschen durch die jeweils „etablierten“ Mächte anprangern, die eine individuelle Ichwerdiung behindern und das glattgebügelte Exemplar Massenmensch erzeugt. Deshalb vervielfältigt er Kaspar in fünf weitere, völlig gleich aussehende Kaspars. Doch geschieht die Manipulierung durch politische Machthaber keineswegs mit in sich widersprüchigen Slogans — man lese etwa die Mao-Bibel —, sondern mit dauernd wiederholten, sehr bestimmten Schlagworten. Das primitiv Einfältige ist da sehr absichtlich das Kennzeichen, nicht das wirr Unsinnige. Aber Handke bemerkt das in seinem unkontrollierten Wortrausch nicht, er gewahrt auch nicht, daß sich der, wie er zeigen will, zum Massenmen-sohen manipulierte Kaspar keineswegs der Zerstörungswut ergibt, wie die übrigen Kaspars. Das Stück ist zwiespältig.

Hans Hollmann setzt als Regisseur erhebliches Lautgetöse aus dem Lautsprecher ein, akzentuiert dabei gut die Vorgänge, bietet abwechslungsreich die Stimmen der Einsager. Peter MatU zeigt trefflich die Wandlung vom stumpf Ungeschlachten zur wirren „Klugheit“ des Manipulierten. Der Bühnenbildner Thomas Richter-Forgach ordnet eine seitliche Spiegelwand an sowie im Bühnenrahmen vier Fernsehapparate, die life Teile der Aufführung übertragen, so daß sich das Gesehene vervielfältigt.

Das Theater bedarf der Experimente, um Spiegel des sich wandelnden Lebens zu sein. Experiment heißt „Versuch“, und das Wesen des Versuchs ist es, daß er nicht immer gelingt. Im „Cafetheater hinterm Graben“ läßt Jürgen Künder als Autor und Regisseur mit acht Darstellern in der Mitte des kleinen Gastzimmers — Tische stehen nur an den Wänden — eine lose Folge von Dialogen sprechen. Titel: „Sie befinden sich hier nicht im Theater.“ In Handke-Manier werden die Beziehungen zwischen den Darstellern und Zuschauern in apodiktischen Ein-Satz-Formulierungen zu fixieren versucht, wobei die Sprecher mit Nachdruck erklären, man spiele | nichts vor. Es geschieht aber dann | doch in einer Szene, die bei einem j Ehepaar ironisierend die Nachwir- I kung eines Abends in einem großen | Theater vorführt. Eine zweite Szene I wird zur verknappten Wiederholung l eines Straßentheaters, das im ver- | gangenen Spätsommer in Favoriten | dargeboten wurde. Uber primitive I Slogans gegen die „etablierte“ Ge- | Seilschaft in Agilprop-Art kam man | da nicht hinaus. Das alles wirkt nicht originär, stößt nicht vor, übernimmt Klischees, die in der Bundesrepublik geschaffen wurden. Wirkliche Experimente wären erwünscht Eine Neugründung ist die Kleinbühne „Theater beim Getreidemarkt“. Auch hier geht es nicht um Vorstöße in szenisches Neuland, der erste Abend brachte Stücke, die von den konventionellen Spielplänen abweichen. Der Monolog „Das verräterische Herz“ von Edgar Allan Poe ist ein psychologischer Thriller um einen irren Mörder. Heinz Herki bietet da eine an Klaus Kinski gemahnende Leistung. — „Salome“, von Oscar Wilde, dieses unheilschwangere, orientalisch prunkende, von abwegiger Sinnlichkeit erfüllte Drama wieder einmal ohne Musik aufzuführen, ist durchaus berechtigt. Aber der sordinierte Kammerton, den Franz Zoglauer als Regisseur anschlägt, genügt nicht, es bedarf auch deckender Besetzungen. Besonders stört gerade in diesem Stück die optisch ernüchternde nackte Bühne. Schon mit schlichten abstrakten Mitteln ließe sie sich eindrucksvoll gestalten.

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