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Ohne Handlung

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In unserer Zeit, in der die politischen Gewalten weltweit mit einer Vehemenz sondergleichen aufeinanderstoßen, ist durch Beckett das handlungslose Theaterstück entstanden, das einen Bruch in der Entwicklung der Dramatik bedeutet, wie es ihn vordem nicht gab. Handlungslos sind die drei Bühnenwerke, die in den letzten Tagen Premiere hatten.

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In unserer Zeit, in der die politischen Gewalten weltweit mit einer Vehemenz sondergleichen aufeinanderstoßen, ist durch Beckett das handlungslose Theaterstück entstanden, das einen Bruch in der Entwicklung der Dramatik bedeutet, wie es ihn vordem nicht gab. Handlungslos sind die drei Bühnenwerke, die in den letzten Tagen Premiere hatten.

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Nach einem Stück des Engländers David Storey, das im Akademietheater vor vier Wochen zur Inszenierung gelangte, wird nun vom selben Autor ein weiteres Bühnenwerk, „Home“, im Theater in der Josefstadt aufgeführt. Im Garten einer Nervenheilanstalt treffen einander mehrere Insassen, zwei Mittelständler, später kommen zwei proletarische Frauen hinzu. Diese vier bieten — im Gegensatz zu einem ziemlich schweigsamen, den Gartentisch stemmenden jungen Mann — kaum andeutend den Eindruck geistiger Gestörtheit, womit der Autor der Behauptung der Psychiater entspricht, die Schizophrene als „gleichzeitig verrückt und gesund“ kennzeichnen. Was wir zu hören bekommen, ist gut dialogisiertes Geschwätz, sind Platitüden, Banalitäten, Belanglosigkeiten, die immer wieder in Schweigsamkeit versickern. Wir erfahren so gut wie nichts über die Ursache ihres Hierseins, nichts über tieferliegende Zusammenhänge, diese Menschen bleiben einem völlig gleichgültig. Äußerstenfalls kann man das gelegentliche Beobachten der Wolken als poetische Chiffre bezeichnen. Mehr gibt es da nicht. Das gefährlichste für das Theater ist Langeweile. Hier bietet sie sich an. Dennoch wurde „Home“ vom Verband der New Yorker Theaterkritiker vpr einem Jahr zum besten Stück der Saison erklärt.

Für die Schauspieler ergibt sich das darstellerisch Reizvolle, in all dem Geschwätz durch Tonfall, durch geringfügige Gesten das Psychotische vorsichtig erkennen zu lassen. Das gelingt Erik Frey und Hans Holt, Grete Zimmer und Erni Mangold unter der Regie von Hermann Kutscher in verschiedenartiger Ausprägung hervorragend. Den Fünften macht Michael Rastl glaubhaft. Monika Zallinger deutet den Garten mit sparsamen Mitteln an.

Im Nachtstudio des Theaters an der Wien, das Darsteller und Zuschauer auf der Bühne vereint, wurde vom Cafetheater das Stück „Sandkastenspiele“ des jungen Schweden Knut Andersson zentral auf einem Teppich vorgeführt. Stück? Es ist das ein Gemengsei winziger, ineinander übergleitender Spiele, bei denen fünf junge Darsteller abwechselnd kleine, auch ältere Kinder sowie deren Eltern verkörpern. Die Rangen benehmen sich unartig, wollen nicht essen, balgen sich auf dem Boden, reden Unflätiges, es gibt Aufsässigkeit den Eltern gegenüber. Sie versuchen, sie zu erziehen, stellen ihnen Forderungen, die sie selbst nicht erfüllen. Man kann da aber weder, wie es geschah, von einem Symbolspiel noch von Sozialkritik sprechen, es wird auch keineswegs eine übersteigerte Unterdrük-kung durch die Eltern angeprangert, der Autor quirlt einfach durcheinander, was sich so zwischen ihnen und ihren reichlich lebhaften Kindern begibt. Da dies unter der Regie von Claus Gillmann von Sonja Burian, Susanne Marx und Helen Svensson, von Axel Anselm und Raoul Bareis mit erheblichem Spaß an dem Gebalge vorgeführt wird, amüsiert es die Zuschauer merkbar zunehmend, je jünger sie sind, die Jüngsten am meisten.

Bühnenwerke, in denen der Versuch unternommen wird, zu katastrophalen Ereignissen der heutigen Zeit Stellung zu nehmen, wurden in den letzten Jahren mehrfach vorgeführt. Derartige Stücke gab es auch in der Renaissance in Italien, als feindliche Soldateska, so die Maximilians I., das Land verheerte. Da nun hat der Regisseur Giovanni Poli, der das Teatro all' Avogaria in Venedig leitet, Texte des Paduaner Schauspielers Angelo Beolco, genannt Ruzante, und anderer, wie auch anonymer Autoren des sechzphnt.pn .Tahrhiinripr+s 7.n pinpm szpnischen Panorama „L'Alfabeto dei Villani“ („Bäurisches Alphabet“) vereint, das im Wiener Italienischen Kulturinstitut von den Kräften dieses Theaters vorgeführt wurde.

Die handlungslosen Dialoge, die meist im Mit- und Widereinander, wie oft auch die Chorstellen nur ein, zwei Sätze umfassen, bieten einen Einblick in die damalige Notlage der bäurischen Bevölkerung, die durch die Kriege bedingt war. Ein Konnex zum grauenvollen Elend in so manchen Teilen der heutigen Welt ergibt sich. Dies führt nun Poli keineswegs mit den szenischen Mitteln der Commedia deH'Arte vor, die in jener Zeit entstand, er setzt das Verbale in ein großartiges Bewegungskunstwerk um, das er symphonisch aufbaut, in tragische Bereiche rückt. Die primitive Sprache der Stücke, die paduanische Mundart der Renaissance, die heute auch von den Italienern teilweise nur mit Benützung eines Wörterbuchs verstanden wird, ist ihm willkommen, da sie sich für die gestische Ausdeutung besonders eignet.

Vierzehn in farbige Lumpen gekleidete, geschmeidig bewegliche Darsteller agieren vor schwarzem Hintergrund zum Teil auf verschieden hohen Podesten mit überaus expressiven Gesten, vereinzelt, zu Gruppen geballt, wild durcheinanderwirbelnd, sie stürzen nieder, erstarren, bäumen sich wieder auf, bilden neue Stellungen, ein choreographisches Werk von besonderer Präzision ersteht, wobei das Sprachliche in pathetischer Steigerung wohlinstrumentiert den Bewegungen zu entquellen scheint. Pathos hat hier Berechtigung, ein starker Gesamteindruck ergibt sich.

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