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Mißbrauch

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Psychiater weisen darauf hin, daß neuerdings eine Zunahme von Sadismus in den menschlichen Beziehungen und Verhaltensweisen festgestellt werden könne. Lustgewinn durch Grausamkeit gegen physisch oder sozial Schwächere datiert selbstverständlich nicht von heute und ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Neu ist jedoch die Art, mit der Sadismus heute wie jede andere sexuelle Abseitigkeit — von Sigmund Freud als den Menschen eigene Notsymptome festgestellt — als Gegenstand künstlerischer Darstellung kultiviert wird. So hat es auch im österreichischen Fernsehen in der jüngsten Zeit zwei Sendungen gegeben, welche sowohl in bezug auf Motivierung wie Zielsetzung, ja sogar in gewissen nicht unwichtigen Einzelheiten diese sadistische Tendenz aufwiesen. Man kann hier bereits so etwas wie ein „pattern“, ein durchgehendes Muster mit folgenden gemeinsamen Zügen feststellen:

1. Sowohl in der von dem Beatle John Lennon im Auftrag des ORF produzierten „V e r-gewaltigung“ wie in dem im Rahmen von „Apropos Film“ von Dimko und Hajek erzeugten „Schocker“ wird ein Experiment vorgegeben.

2. Beide Sendungen geben vor, der Sozialkritik zu dienen.

3. Als Objekte dieser „Experimente“ dienen in beiden Sendungen junge, hilflose und naive Mädchen. Lennon läßt ein nichts-ahnendes junges Mädchen mittels einer drei Tage währenden Verfolgung durch einen Kameramann seelisch vergewaltigen. (Daß die ganze „Reportage“ höchstwahrscheinlich gestellt war, ändert nichts am Inhalt und am Gefühlsumsatz der Sache.) In der Produktion der Herren Dimko und Hajek wurde eine größere Zahl junger Mädchen durch Vorspiegelung eines möglichen Engagements in einem Film dazu veranlaßt, sich im Hotelzimmer des angeblichen Filmmanagers nackt auszuziehen und dem Herrn durch realistische Aktion zu beweisen, daß sie fähig seien, die Verführung eines Mannes in einem Film glaubhaft zu machen. Zum Unterschied von Lennons Opfer wußten sie tatsächlich nicht, daß all dies in Bild und Ton aufgenommen wurde. (Daß man es ihnen im nachhinein mitteilte, geschah wohl weniger infolge des im österreichischen Rundfunk herrschenden Anstands als auf Anraten des Hausjuristen dieser Institution oder der Urheber der Sendung.)

4. Es besteht kaum ein Zweifel daß in beiden Produktionen sadistische Gefühle der Autoren umgesetzt und auf das Publikum projiziert wurden. Hierzu: Junge ahnungslose Mädchen sind schon in der klassischen pornographischen Literatur die idealen Objekte sadistischer Akte. Sogar die Vorgeblichkeit des „Experimentes“ kommt dort immer wieder vor. Erst recht aber scheint dabei häufig der „erzieherische“ Vorwand für die sadistische „Bestrafung“ des Opfers auf. Dabei tritt nun an die Stelle der Züchtigung eines Individuums, wie das Sade schildert, in unserer soziologisch inklinierten Zeit die vorgegebene Kritik an der Gesellschaft oder an sozialen Mißständen — seien diese echte oder vorgegebene.

So nannte Beatle Lennon, MtUio-när und Nutznießer hysterischen Starkults, als Anlaß zur „Vergewaltigung“, daß er damit zeigen wollte, wie jemand zumute sei, der von der öffentlichen Aufmerksamkeit verfolgt werde. Er tut einem geradezu leid, der Mr. Lennon. Was mm die Herren Dimko und Hajek betrifft, so fühlten sie die dringende Berufung, die Bereitschaft junger Mädchen, sich für eine Filmrolle zu prostituieren, aufzuzeigen. So berufen fühlten sie sich, die beiden Herren, daß sie diese Bereitschaft provozierten und eine ziemlich unappetitliche, sadistisch angereicherte Sendung schufen. (Daß einer der beiden Autoren außerdem in einer Tageszeitung für eine Filmseite verantwortlich ist, die nahezu vollständig dem Tratsch über Stars und Starlets gewidmet ist — und kaum je einer ernsthaften Zeile über die Nichtexistenz des österreichischen Films — illustriert nur die besondere Berufenheit.) All das ist Mißbrauch des Mittels Fernsehen unter dem Vorwand publizistischer Experimentik und Sozialkritik. Und es ist auch Mißbrauch der Mittel, nämlich der durch die Einhebung der Fernsehgebühren zustande kommenden. Das wenigste, das man von den Produzenten solchen Unfugs verlangen kann, ist, daß sie ihren privaten Neigungen in einem weniger öffentlichen Rahmen, als es das Fernsehen ist, Befriedigung verschaffen.

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