Paradies, Sintflut, Hiob und viele Gesetze

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Der Abend lebt von der Nähe der Schauspieler, die permanent ihre Rollen wechseln und in den besten Momenten mit diesen Rollen kämpfen.

Natürlich kann man das Buch der Bücher auch als Skript lesen, in dem die kulturelle Evolution des Menschen zur Sprache kommt, wie es Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Bestseller "Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät" begreifen. Die Vertreibung aus dem Garten Eden markiert dabei das wohl folgenreichste Ereignis in der Geschichte der Menschheit: den Übergang vom Leben als Jäger und Sammler zum sesshaften Dasein mit Ackerbau und Viehzucht, das nicht nur Fortschritt, sondern auch Patriarchat und große anonyme Gesellschaften brachte. Für die Probleme, die dabei zu Tage traten, waren die Menschen allerdings weder biologisch noch kulturell gerüstet. Wie sie damit dennoch fertig wurden, dokumentiert die Bibel auf erstaunliche Weise.

Aber man kann die Schrift natürlich auch im Sinne des Philosophen Hans Blumenberg lesen, der in seiner "Matthäuspassion" den Gott des Alten Bundes hinterherhinken lässt, weil er bis zum Tod seines Sohnes am Kreuz gar nicht wissen konnte, was es heißt, sterben zu müssen. Dieser Gott musste erst einmal seine Erfahrungen machen mit dem menschlichen Geschlecht.

Die Inszenierung im Grazer Schauspielhaus von Volker Hesse, der mit vielbeachteten Inszenierungen im deutschen Sprachraum bedeutende Akzente gesetzt hat, bietet von beiden Rezeptionssträngen etwas. Gott allerdings ist dabei in keiner Rolle zu sehen. Spricht er (verwendet wird die 2017 revidierte Lutherbibel), so redet der Schauspieler mit sich selbst oder aber erscheint als Drei-Personen-Gestalt, die an die Dreifaltigkeitsikone von Andrei Rubljow erinnert, auch wenn nicht drei Engel, sondern drei fahrige Wunschfeen mit russischen Pelzmützen auftreten.

In Inszenierung eingebunden

Was soll man dazu sagen? Nichts? Weil man befangen ist, da man ja in diese Inszenierung eingebunden wird? Hesse hat das Haus komplett umgebaut und eine große Ebene eingezogen, die Bühne und Zuschauerraum verbindet, auf der die zusehende Menschheit durch die bekanntesten Episoden des Alten Testaments manövriert und musikalisch unterhalten wird. Dabei sitzt man die meiste Zeit auf Pappkartons, die das ökologische Gewissen beruhigen, aber äußerst unbequem sind. Und irgendwann verflucht man die verordnete Sesshaftigkeit.

Zu Beginn jedoch darf man stehen und wandern. Für die Schöpfungsgeschichte übernehmen Freiwillige die Adam-und-Eva-Rolle, spielen Scham und Sünde und sehen zwischendurch aus wie Brautpaare vor dem Altar. Ach ja, die Ehe kommt ja mitunter wirklich einer Vertreibung aus dem Paradies gleich. Dann geht es allerdings gleich einmal Schlag auf Schlag: Kain (Pascal Goffin) und Abel (Benedikt Greiner) liefern sich als Trapezkünstler den ersten Schaukampf. Im Hinterkopf wissen wir ja noch, wie das ausgeht, weniger freilich wer dabei erschlagen wird. Und dann warten wir auf die Sintflut.

Aber es geht weiter, der Turm wird gebaut. Sprachen verwirren uns. Weiße Stoffbahnen fallen herab und kleiden den Raum aus, fortan werden großflächige Videos darauf zu sehen sein. Wir sind also immer noch im Turm? Aber es bleibt keine Zeit darüber nachzudenken. Ein Abraham (Gerhard Balluch) übernimmt uns. Sein Wiedererkennungswert ist enorm. Er ist alt und weißhaarig und erinnert irgendwie an den Hundertjährigen, der aus dem Zelt stieg. Doch jetzt beginnt dieses ganze Gebären wie am Fließband rund um alle möglichen Hauptfrauen und Mägde, die damals bereits für Leihmutterschaften herhalten mussten. Das konnte man leider nur ahnen. Eindrücklich blieben allein die virilen Söhne, Isaak (Maximiliane Haß), Ismael (Oliver Chomik), Esau (Florian Köhler), Jakob (Benedikt Greiner) und schließlich Josef (Pascal Goffin). Mit Mose (großartig: Julia Gräfner), der als stotternder Obdachloser auftritt, kommt erstmals wieder Spielraum, aber auch die Zehn Gebote und weitere 603 Gesetze ins Theater. Diese neue Hausordnung für eine sesshafte Welt musste ja in Zukunft von Ernährungsvorschriften bis Hygienestandards alles regeln. Die Schauspieler winden sich dabei auf einem sehr langen, stegartigen Tisch. Und greifen sich unentwegt in diverse Körperöffnungen.

Logisch, dass jetzt der Zeitpunkt überfällig ist, diesem Gott auch die Seele anzuvertrauen, wenn er schon über den Körper bestimmt. Ein Country-Sänger tritt auf. Dieser Grazer David (Florian Köhler) schmeißt sich dann auch gleich mal in die Herzen und gibt ein paar Ohrwürmerpsalmen zum Besten. Ist hier womöglich ein Regiegott am Werk, der, wie Blumenberg es sagt, noch etwas nachholen muss?

Hohes Feuer der Liebe

Im auserwählten Theaterraum hat sich mittlerweile alles dermaßen verhört, dass es wieder Zeit wird für einen wirklich Geprüften. Diesem Hiob (Anna Szandtner), im Nachthemd einer psychiatrischen Heilanstalt, nimmt man punktuell auch ab, dass er seine Leiden nicht mehr nur als Strafe, sondern vor allem als Prüfung Gottes sehen will. Der große Funken springt dennoch nicht über. Denn Hesse vermeidet auch diesmal eine echte Reibung und spielt lieber -theologisch inkonsequent -mit dem hohen Feuer der Liebe.

Die Zuschauer sitzen nun endgültig in der Etablissementfalle. Ein fahler Geschmack am Ende bleibt: Was hat diese zehnminütige Liebesbekundung mit dem Rest des Abends zu tun? Fazit: großer Aufwand, teils sehr ehrliches, teils heftiges Aug-um-Aug-Spiel. Auch funktionieren die von Hesse aufgebauten Assoziationsstränge zu den heutigen Flucht-Tragödien nicht wirklich. Sie sind zu dünn. Der Abend lebt von der Nähe der Schauspieler, die permanent ihre Rollen wechseln und in den besten Momenten mit diesen Rollen kämpfen. Dann laufen sie zur Hochform auf, als wären sie Söhne und Töchter eines Gottes, der auch Kafkas Onkel (George Steiner) hätte sein können.

Altes Testament - Aus dem Tagebuch der Menschheit Schauspielhaus Graz, 25., 26., 29. Mai

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