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Wir alle sind Jager

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Nach dem gleichnamigen Volksstück von Martin Sperr „Jagdszenen aus Niederbayern“ (das sich seinerseits an ödön von Horvath anlehnt) schuf Peter Fleischmann (nach „Herbst der Gammler“) seinen zweiten Spielfilm, der gleich nach seiner Aufführung bei der „Viennale“ öffentlich zu sehen ist — und den niemand versäumen sollte. Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, Abraham, der aus der Stadt in sein Dorf zurückkehrt; obwohl er wegen seiner beruflichen Tüchtigkeit geschätzt wird, umgibt ihn bald das Gerücht, abartig veranlagt zu sein — und sein Abweichen von der Norm, seine Andersartigkeit kann von der geistig und seelisch stumpfen Dorfbevölkerung nicht toleriert werden. So nimmt die Jagd auf den Außenseiter ihren Lauf: sie beginnt mit Hänseleien, steigert sich zu feindseliger Abweisung und findet ihren Höhepunkt darin, daß der Verzweifelte zu einem Mord getrieben wird — und jetzt kann das Wild mit Recht zur Strecke gebracht werden... Ruhe und Ordnung sind damit im Dorf wiederhergestellt.

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Nach dem gleichnamigen Volksstück von Martin Sperr „Jagdszenen aus Niederbayern“ (das sich seinerseits an ödön von Horvath anlehnt) schuf Peter Fleischmann (nach „Herbst der Gammler“) seinen zweiten Spielfilm, der gleich nach seiner Aufführung bei der „Viennale“ öffentlich zu sehen ist — und den niemand versäumen sollte. Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, Abraham, der aus der Stadt in sein Dorf zurückkehrt; obwohl er wegen seiner beruflichen Tüchtigkeit geschätzt wird, umgibt ihn bald das Gerücht, abartig veranlagt zu sein — und sein Abweichen von der Norm, seine Andersartigkeit kann von der geistig und seelisch stumpfen Dorfbevölkerung nicht toleriert werden. So nimmt die Jagd auf den Außenseiter ihren Lauf: sie beginnt mit Hänseleien, steigert sich zu feindseliger Abweisung und findet ihren Höhepunkt darin, daß der Verzweifelte zu einem Mord getrieben wird — und jetzt kann das Wild mit Recht zur Strecke gebracht werden... Ruhe und Ordnung sind damit im Dorf wiederhergestellt.

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Eine erschreckende Geschichte — denn es steht ja gar nicht fest, ob Abraham wirklich „anders“ ist; seine Andersartigkeit kann durchaus nur eine vermeintliche sein — denn es ist sozialpsychologisch längst erwiesen, daß zwischen der sozialen Rolle und ihrem Träger eine Wechselwirkung besteht: der Einzelgänger oder Individualist nimmt, oft gegen sein wahres Naturell, die ihm von der Gesellschaft zugewiesene Rolle an, wodurch er wiederum der Gesellschaft bestätigt, daß ihr sich vom Betroffenen gemachtes Bild ein richtiges ist, ein erschreckender Circulus vitiosus. Man kann sein schlechtes Gewissen bei diesem Film sicher damit beruhigen, daß man ihn als ein Stück „Bewältigung deutscher Vergangenheit“ deutet, im Sinne etwa, daß die hier aufgezeigte Dorfbewohner-Mentalität als Keimzelle faschistischer Gesinnung interpretiert werden kann — doch dies wäre zu billig. Man muß schon sehr borniert und selbstgefällig sein (oder im Unterbewußtsein sich sehr schuldig fühlen), um nicht ehrlich zu erkennen und zuzugeben: mit den Menschen in diesem niederbayrischen Dorf sind wir alle nicht nur gemeint, sondern auch demaskiert. Die Gestaltung des Films verrät echte Meisterschaft: vom Drehbuch her, das ein erschreckendes Bild dumpfen, triebhaft-primitiven Daseins erstaunlich richtig psychologisch erfaßt zu zeichnen versteht (wobei jede Schwarzweißmalerei vermieden wird), über die klare, geradlinige Inszenierung ohne jede Länge und überflüssiges Beiwerk (wobei das Drama fast wortlos abrollt) bis zur darstellerischen Interpretation — wobei die meisten Rollen konsequent mit Laien besetzt sind und der Autor Martin Sperr selbst beklemmend echt die Figur Abrahams zeichnet — wirkt der Film wie aus einem Guß. Er ist sicher das bedeutendste Opus des gesamten bisherigen „jungen deutschen Films“, ein Werk, das in die Filmgeschichte eingehen wird, das man einfach gesehen haben muß — und ein Dokument erschütternder Bewußtseins-machung der menschlichen Intoleranz unserer angeblich so weit fortgeschrittenen Zivilisation...

Der liebenswert-lyrische Lehrerroman des englischen Erzählers James Hilton „Goodbye, Mr. Chips“ — schon einmal mit Robert Donat (1939) verfilmt — wurde nun zu einem üppig-pompösen Film-Musical (in Amerika schreibt man bereits „Filmusical“) umgestaltet, das die sentimentale Geschichte des biederen Schulmeisters in jeder Hinsicht verklärt und vergrößert. Aus dem zarten Kammerspiel wurde nach einem Drehbuch von Terence Rattigan eine aufgeblasene 70-mm-Show, in der Peter O'Toole, Petula Clark und Michael Redgrave, angetrieben durch unpopuläre Lieder von Leslie Bri-cusse, vergeblich versuchen, menschliche Dimensionen zu erreichen. *

Eben erst mit dem „Oscar“ für den besten nicht englisch gesprochenen Film ausgezeichnet, kommt Costa-Gavras neue griechische Passion „Z“ überraschend schnell in unsere Kinos. Ein großer Film, ein wichtiger Film, diese Parabel von der Ermordung eines Politikers (gemeint ist Prof. Lambrakis) in einer südosteuropäischen „Demokratie“ (gemeint ist Griechenland) und die Ahndung dieser Tat — dazu ein überaus gekonnt gemachter Film mit französischer Starbesetzung. Weniger bekannte Namen, weniger buntes Technicolor und etwas weniger Lelouch-Effekte wären allerdings noch überzeugender gewesen ... Immerhin, da „jede Ähnlichkeit beabsichtigt“ ist, muß man diesen Protest gegen die Diktatur gelten lassen und empfehlen.

Ein hochinteressanter, wenn auch sicherlich kaum sehr erfolgreicher Film ist „Der Untergang des Sonnenreiches“ nach einem bei uns nicht bekannten Theaterstück von Peter Shafler; die große Auseinandersetzung zwischen dem Inka-Gott-König Atahualpa und dem spanischen Er-.oberer Pizarro war in Wirklichkeit eine wesentlich „materiellere“, doch sicher weit weniger effektvolle: der Zusammenprall uralter heidnischer Kultur mit dem Fanatismus der gläubigen Eroberer aus Europa ergibt unerhört spannende und dramatische Dialoge (um so mehr, als religionsproblematische Auseinandersetzungen heute ja sehr aktuell sind), die besonders in der Darstellung Christopher Plummers als Inka zu einer faszinierend-schillernden Begegnung werden. Trotz aller Thea-tralik in Gestaltung und Sprache wird der Film wohl jeden fesseln, der ästhetischen Bildsinn besitzt.

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