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Alternativer Nobelpreis 1990

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In keinem anderen Jahr wurde die Spannung zwischen Hoffnung und Ent-Täuschung so stark spürbar wie im vergangenen. Hatte zu Beginn Euphorie dominiert, hatte man gehofft, Entspannung und Abrüstung würden politische und auch finanzielle Ressourcen für alternative Projekte freimachen, stehen wir nun unter den Zwängen einer wachsenden Krisen- und Kriegswirtschaft. Eine anscheinend unaufhaltsame Maschinerie ist im Begriff, auch die gewaltfreien Bürgerbewegungen zu überrollen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist die Auswahl der „Alternativen Nobelpreisträger” für 1990 bezeichnend. Von den an den Konflikten beteiligten Regionen sind zwar die USA, Lateinamerika, Afrika und der Nahe Osten vertreten, nicht aber Mittel- und Osteuropa.

Alice Tepper-Marlin stieß 1)968 als junge Wertpapier-Analystin auf die Verstrickung von US-Firmen in die Vietnam-Kriegsgeschäfte. Sie gründete zur Beratung von Konsumenten und Investoren ein „Center on Economic Priorities”, das Studien und Publikationen unter anderem über den militärisch-industriellen Komplex, aber auch über Giftmüllfirmen, Energieprogramme, Arbeitsbedingungen in Firmen und Ratschläge für Verbraucher veröffentlichte. In ihrem Bestseller „Shopping for a better World” gab sie den Verbrauchern kritische Tips, um ihre scheinbare Machtlosigkeit zu überwinden. Zum anderen berät sie in einem Projekt über „Militärausgaben und wirtschaftliche Prioritäten” US- und Sowjet-Experten über die Folgen der Abrüstung für die gemeinsame Sicherheit und die Umstellung der vom Militär dominierten Wirtschaftsunternehmen. Dafür erhielt sie nun den alternativen Ehrenpreis.

Bauern und Landarbeiter aus dem Gebiet von Carare in Kolumbien schlössen sich 1987 zu einer „Association” zusammen. Sie entschieden sich gegen die vier gängigen Grundhaltungen: sich auf die Seite des Militärs und der paramilitärischen Verbände oder der kommunistischen Guerillas zu stellen, auszuwandern oder zu sterben. Ihre gewaltfreie Alternative dazu: mit allen Konfliktparteien reden, durch

Friedensmärsche positiven Druck ausüben, durch Agrarprojekte die Abwanderung stoppen und die Wälder aufforsten. Sie erarbeiteten dazu - im Dialog mit der Regierung - eigene regionale Entwicklungspläne. Das erneute Aufflammen der Guerillakämpfe und schließlich die Ermordung von vier führenden Mitarbeitern am 26. Februar 1990 bedeutete für die Bauern einen schweren Rückschlag, dem sie jedoch mit verstärktem Engagement mit den bewaffneten Kräften begegnen wollen.

Bernard Ledea Ouedraogo aus Burkina Faso (Westafrika) ist einer jener wenigen Intellektuellen, denen es gelang, Dorfgemeinschafts-Projekte durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu fundieren. Gemeinsam mit dem Franzosen Bernard Lecomte gründete er 1976 den „6 S-Verband”, der die traditionellen Gruppierungen meist junger Leute unterstützt. Die rein technische Entwicklungshilfe muß in eine gemeinsame geistige und soziale Basis eingebettet werden. Die inzwischen auf 4.000 Dorfgruppen mit 245.000 Bauern angewachsene Bewegung hat in der westlichen Sahelzone insgesamt zwei Millionen Menschen im Kampf um ihre Existenz und gegen die wachsende Versteppung und Verwüstung unterstützt. Gut 60 Prozent ihrer Zeit widmen die Projektteilnehmer spezifischen Umweltschutzprojekten.

Felicia Langer - jüngst auch mit dem Kreisky-Menschen-rechtspreis ausgezeichnet-war 1950 mit ihrem Mann aus Polen nach Israel eingewandert.Seit 1960 nahm sie sich als freie Anwältin vorrangig der Verteidigung von Unterprivilegierten an. Unter dem Schock des Sechs-Tage-Krieges ging sie nach West-Jerusalem und verteidigte 22 Jahre lang vor den Militärgerichten die Rechte der Palästinenser. Erst im Juli 1990 wich sie dem massiven Druck ihrer Gegner und unterrichtet seither an der Universität Tübingen Völkerrecht. Junge israelische Anwälte setzen ihren Kampf für die Unterdrückten im eigenen Land fort.

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