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Aufforderung zum Spielen

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Wie viel und wie vielerlei kommt uns da nicht täglich, vor allem allabendlich, durch unsere Radio- und Fernsehempfänger ins Haus. Wir sind immer die Empfangenden, meist dankbar Empfangenden. Denn wenn einem etwas nicht paßt, so braucht man ja bloß an einem Knopf zu drehen oder eine Taste zu drücken. — In letzter Zeit hat man sich, besonders im TV, Gedanken darüber gemacht, wie diesem „einseitigen“ Prozeß, dieser passiven Aufnahme des Zusehers zu begegnen sei, wie man ihn wohl aktivieren könnte. Ein Erfolg ist allenfalls die Sendung „Wer dreimal lügt“ ... Aktivität wird ohne Zweifel auch von den Teilnehmern an Kursen, vor allem etwa an den Sprachkursen verlangt. Wer da nicht aktiv mitmacht, bleibt stecken, erreicht nicht das Klassenziel und erwirbt nicht das angestrebte Wissen. Denn um Wissen, handelt es sich ja in erster Linie. Doch was wir heute meinen, ist das Spiel, die Reaktivie-runig des „homo ludens“, mit dem sich ja nicht nur Psychologen und Pädagogen, sondern auch Philosophen beschäftigen.

Da erfand man also im Fernsehen die „Spiele“, oft als „Familienspiele“ bezeichnet. Aber auch hier sind wir ja wieder nur passive Teilnehmer, „Voyeure“, die, etwa bei Quiz- und Ratespielen, auf die eine oder andere Antwort „setzen“ können. Aber Mitspielen tun wir selbst nicht, wir sehen nur zu, wie andere spielen. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten der vielen mehr oder weniger geistreichen Gesellschaftsspiele, bei denen es oft recht lustig — und gar nicht immer stumpfsinnig — zuging. Aber jedes echte Spiel erfordert Aktivität, zumindest „Mittun“. Solches versucht seit einiger Zeit das unabhängige österreichische Magazin „Profil“, indem es in jeder Nummer seinen Lesern Aufgaben stellt bzw. Anregungen gibt, zum Beispiel alphabetische Zweizeiler — nach dem großen Vorbild Wilhelm Büschs — zu erfinden, diverse Wörter, die immer paarweise auftreten, fortzusetzen, auf möglichst unsinnige und daher lustige Weise, wie etwa Blut- und Boden-wurst, der Berg-und Tal-mud, Frau- und Mannschet-ten (als Partner-Look empfohlen), die Sex- und Crime-HIlde, als Protagonistin einer Neufassung des Nibelungenliedes; man erfindet „letzte

Worte großer Männer“ oder zieht bekannte klassische Stücke in einem Satz zusammen, zum Beispiel für „Iphigenie auf Tauris“: „Grieche sucht Griechin“, für „Lohengrin“: Unbekannter bereist belgische Wasserwege mit umweltfreundlichem Fahrzeug, für Puccinis „Turandot“: Lebensgefährliche Quizspiele am Hofe von Peking und vieles andere mehr.

Recht geistvolle Lösungen gab es auch beim Bewältigen der Aufgabe, Gedichte mit nur aus je drei Buchstaben bestehenden Wörtern zu basteln, oder sogenannte „Boules de neige“ (das sind Schneeballgedichte) zu verfassen, wobei die Zahl der Buchstaben von Zeile zu Zeile um einen wächst — versuchen Sie es einmal...

Während meiner Studentenzeit erfand ein Mitglied unseres Freundeskreises die E-Sprache, das heißt, man durfte sich nur mit Wörtern unterhalten, die aus lauter E-Lauten bestanden, wobei ä und ö ebenfalls als e zählten. Sie hieß mit ihrem bürgerlichen Namen Grete Orator und mußte diesen schönen Familiennamen ablegen und sich als Grete Redner ansprechen lassen. Diese E-Sprache kann zu einer wahren Leidenschaft werden, und wir trieben die Konsequenz so weit, daß auch die Speisekarte nach entsprechenden Gerichten durchsucht wurde. Also mußten wir Leberknödel oder Geselchtes oder Leberkäse bestellen, obwohl der eine oder andere die genannten Speisen überhaupt nicht mochte. Zum Glück waren uns Wein und Bier nicht verwehrt, denn fürs erste erfanden wir: „edles Rebengetränk, fürs letztere „Gerstensäfte“. Dabei ging es keineswegs immer nur um triviale Dinge, sondern es war zum Beispiel auch von Georg Trakl die Rede.

Jenem edlen, erdenfernsten Federmenschen, dessen Versen Seelen-schmerzen entströmten, den „Der Brenner“ entdeckte und dessen Lesern schenkte.

Aber Vorsicht: die E-Sprache kann zu einer Manie werden und schließt Uneingeweihte oder Untalentierte von der Unterhaltung aus ...

PROFIL-SPIELE. Gesammelte Werke. Trend-Verlag. Redaktion: Traudl Lessing.

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