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Aufruf an die „Feigen und Dummen“

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Wenn ein Viertelgebildeter, ein hilfloser Analphabet, mit gutem Gewissen aus seiner christlichen Gemeinschaft austreten will, soll er unbedingt dieses Buch lesen — vielleicht aber auch nur, um zu sehen, wie Halbgebildete in unserem konfusen Zeitalter eine absolute Magistratur ausüben. Hier wird ein angeblich manipulierter Glaube ganz einfach „ummanipuliert“ und der einfache Leser, der die hier ihm gebotenen Angaben nicht überprüfen kann, recht brutal überrollt.

Der Angriff (von Herrn Deschner, dem Herausgeber) richtet sich zuerst gegen die Authentizität des Neuen Testaments und gegen die Gottheit Christi. Uralte Argumente, fußend auf den Lücken und Widersprüchen in den Berichten der Evangelisten, werden hier wieder aufgewärmt. Nun aber ist es doch so, daß man bei einem großen, erschütternden Ereignis von den verschiedenen Zeugen (oder deren Befragern) darüber keinen identischen Report bekommt. Unweigerlich würden Abweichungen auftauchen, aber das stellt doch die Realität des Ereignisses nicht in Frage. Es hat eben nun einmal stattgefunden.

Dann auch muß man sich bei der Beurteilung einer nun fast zweitausendjährigen Kirche vor Augen halten, daß sie kein statisches, sondern ein ständig wachsendes Gebilde ist, mit stets neueren und tieferen Einsichten, Regeln und Institutionen. Sie ist eine stufenweise Verwirklichung der Botschaft Christi — wenn auch oft mit Umwegen, Irrwegen, Rückfällen und Spaltungen. (Schon im 5. Jahrhundert hat der heilige Vinzenz von L6rins über den „Fortschritt in der Kirche“ gesprochen.) Sie hat selbstverständlich in der Vergangenheit die fürchterlichsten Dinge auf dem Gewissen, denn sie ist eben „Gottes Kraft in menschlicher Schwäche“. Ich aber hätte trotz aller Realisierung kirchlicher Unsinne und Gemeinheiten in der Vergangenheit nicht die geringste Lust, in eine nichtchristliche Kultur hinein- oder zurückversetzt zu werden: in das 15. Jahrhundert des Aztekenreiches, nach Rom zur Zeit Neros, Japan unter den Tokugawas, Deutschland während des Dritten Reiches, nach Rußland oder China heute, nach Rotspanien oder Daho-mey als Glögl6 noch seine „Bösen Nächte“ feierte.

Die Grundpositionen dieses Buches sind eigentlich dieselben wie die Martin Bormanns in seinem berüchtigten Rundschreiben aus dem Jahre 1942 über die „Unwissenschaftlichkeit“ des Christentums und gemahnen an den „Pfaffenspiegel“ Otto von Corvins, eines revolutionären Achtundvierzigers, ein Buch, das. von den Nazis 1934 neu aufgelegt wurde. Wir bewegen uns hier dm Bereich der Machwerke, die in der Tat nur die westliche Kultur zerstören, den Ast, auf den wir alle sitzen absägen möchten — Publikationen, die Alexander Rüstow, ein Agnostiker von hohem Verantwortungsbewußtsein, in seinem Ortsbestimmung der Gegenwart radikal verurteilt. Cui prodest? muß man sich bei diesen Schriften fragen. Unsere drei Autoren offerieren dem verwirrten Leser jedoch nichts an die Stelle seines Glaubens als bestenfalls ein Fragezeichen, Immanenz statt Transzendenz, das existentielle Niveau eines stichelhaarigen Zwergdackels, der auch an „nichts glaubt“ und in einem sinn-losen Universum lebt... was aber für einen vitalen Menschen auf die Dauer unerträglich ist und ihn in einen zerstörerischen Nihilismus treibt.

Wie dem auch sei: ein gutes Drittel, der hier angegriffenen Überzeugungen werden aber heute weder von katholischen, noch von evangelischen Theologen verteidigt. Zudem haben wir eine strenge, aber konstruktive innerkirchliche Kritik (die keineswegs von der theologischen Demimonde zu kommen braucht) und kirchliche Übel- und Mißstände unter die Lupe nimmt. Von dieser wissen aber die Autoren wenig und es ist erheiternd, zu sehen, wie hier fortwährend „Autoritäten“ zweifelhaftester Art zitiert werden (wie z. B. der dilettantische „Homoerote“ G. Wyneken) oder auch, zur Abwechslung, echte theologische Größen wie Johannes Chrisostomus, aber aus einem Buch von Simone de Beauvoir kopiert und völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Und wer nicht da alles als „Kirchenvater“ (Tertulian!) und „Kirchenlehrer“ (Origenes) figuriert — Ketzer und Kastraten! Und welcher Theologe würde auch heute noch jedes Wort von Augustinus und Hieronymus unterschreiben?

Das geradezu unausgesetzte Zitieren obsoleter Autoren (manchmal auch evangelischer Polemiken gegen Rom) ganz im Stil des alten „Anti-religioznik“ mit der Darstellung des Urchristentums frei nach Engels und der „Großen Sowjetenzyklopädie“ (Bd. 46, S. 552 ff.) gibt uns schließlich einen zwar amüsanten, aber keineswegs originellen Band. Man wundert sich aber, ob die Autoren nicht den Verdacht gehegt haben, daß auf ihre Einwände es längst zügige Antworten gibt. Schließlich sind die Christen auch nicht auf den Kopf gefallen, doch scheint eine Gegenkritik hier nirgends auf. Hingegen ergeben die Fehlinterpretationen eine ungewollte Komik. So war Maria keine „plebejische Jüdin“, denn sie war wahrscheinlich davidischer Abkunft, sicher aber aaronitisch versippt, ewige Höllenqualen werden den ungetauften Kindern von der katholischen Kirche keineswegs in Aussicht gestellt, sondern eine bloß „natürliche Seligkeit“, auch ist die Finanzierung der Kirche durch Steuern keineswegs auf die Bundesrepublik beschränkt („einzigartig in der Welt“) — die finden wir in zahlreichen Staaten. Auch wirkt das Küchenlatein (das sogar einmal in Großbuchstaben aufleuchtet) vielsagend und befremdend.

Der Herausgeber hat die Delikatesse, uns im Vorwort zu gestehen, er habe das Buch für jene verfaßt, die „weder feig noch dumm genug sind“. Absurditäten und Unwahrheiten zu schlucken. Unwillkürlich erinnert man sich da an einige mutlose Schwachköpfe in diesem Jahrhundert, Männer und Frauen, die sich bewußt für das Christentum entschieden haben: Maritain, Chesterton, Graham Greene, Julien Green, C. S. Lewis, Papini, Solschenitzyn, Pasternak, Solowjow, Marcel, Wust, Gilson, Rouault Fujita. Mauriac, Claudel, Bernanos, Ramuz, Gironella, Sigrid Undset, Liese Meitner. Absichtlich zählte ich keine Pastoren, Priester und Theologen auf. Ich, allerdings, bin heilfroh, mich in der Gesellschaft dieser feigen Idioten zu wissen. Wir leben allerdings in einem kuriosen Zeitalter, und es Ist möglich, daß in einer Generation diese Namen tatsächlich vergessen und die des Deschner-Trios hell im Glanz des Ruhmes leuchten werden. Aber so ganz sicher ist das auch wieder nicht.

DER MANIPULIERTE GLAUBE. (Eine Kritik der christlichen Dogmen.) Mit Beiträgen von Karlheinz Deschner, Klaus Ahlheim und Hans Erich Lampl, Kindler: München. 312 Seiten, Leinwand DM 24.—.

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