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Aug“ in Aug“ mit dem Genie

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Uber die aktuellen Großtaten der Denkmalpflege und über Restauriervorhaben am reichen Kunsterbe Italiens ist die mitteleuropäische Öffentlichkeit nur unzulänglich informiert. In den letzten Jahren sorgten allein Leonardos „Abendmahl“ in Mailand und Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom in gewissen Abständen für Polemiken in den Medien, deren Kritik aber jeder fundierten Grundlage entbehrt. Die damit bewirkte Verunsicherung ist umso bedauerlicher, als — im Unterschied zu Italien - bei uns das Allgemeinwissen über die historischen Kunst- und Handwerkstechniken im Schatten der viel stärkeren Konzentration auf die musikalische Bildung ohnehin weitgehend verkümmert ist.

Im Jahre 1980 hat die Leitung der Vatikanischen Museen im Rahmen eines Zwölfjahrespro-gramms in der Sixtinischen Kapelle mit der Reinigung der Ostwand begonnen. Seither würde„ von einer auf das Hauptgesims aufgelegten Gerüstbrücke aus, bereits ein Großteil der zwischen 1508 und 1512 entstandenen Propheten und Sibyllen in den Lünet-ten der Wände und der Szenen aus der Schöpfungsgeschichte an der Decke gesichert, gereinigt und in. allen formalen und technischen Originaldetails dokumentiert. Die kunstvolle Konstruktion erinnert an das Gerüst, das seinerzeit Giuliano de Sangallo d. J. für Michelangelo geschaffen hat.

Gegenüber spärlichen Fachkontakten früherer Jahre herrscht jetzt eine erfreuliche kollegiale Offenheit der verantwortlichen Restauratoren Colalucci und Mancinelli gegenüber ihren italienischen und ausländischen Fachpartnern. Regelmäßige Kontakte bestehen zum Stab des internationalen Konservierungszentrums in Rom (ICCROM).

Das dem täglichen Besucherstrom verständlicherweise verschlossene Gerüst ist für Fachleute aus allen Ländern zugänglich. Die Arbeiten werden von japani-“ sehen Firmen gesponsert, welche sich dafür die publizistische Verwertung gesichert haben. Trotzdem sind bereits mehrere Publikationen in italienischer und englischer Sprache erschienen, welche die Ergebnisse mit neuesten Nahaufnahmen auch einem größeren Interessentenkreis anschaulich machen. Auch auf mehreren internationalen Fachkongressen der letzten Jahre hat man die Resultate gezeigt und zustimmend diskutiert: 1983 in Florenz (Berichte in zwei Bänden „Tecni-ca e stile“, herausgegeben von The Havard Center for Renaissance Studies und P. Getty Trust, Florenz 1986), in Bplogna 1986 (International Institute for Conserva-tion, Preprints London 1986) und zuletzt in London im Sommer 1987 (International Symposium Con-servation of Wall Painting, Cour-tald Institute, London Universi-ty).

Welches sind nun die Ergebnisse?

Michelangelos künstlerische Meisterschaft zeigt sich in ganz neuer, vertiefter Weise. Zunächst beeindruckt seine unerhörte Sicherheit in der Direktmalerei von überlebensgroßen Figuren ohne jede Kartonhilfe bei den Wandlü-netten. Hier verblüffen die oft aquarellhafte Transparenz und . Spontaneität der Inkarnate in allen Details der Pinselführung und die kühne Farbigkeit der Gewänder. Sie zeigen jetzt wie ehedem satte komplementäre Farbkontraste von Blau-Gelb, Rot-Grün und vor allem strahlende Schillertöne ein und desselben Stoffes in Grün-Rosa-, Blau-Violett- und Gelb-Rot-Kombination als revolutionären Vorausgriff auf den Farbstil der Manieristen, welche sich ja—in der Farbe bisher kaum verständlich — vielfach auf seine Ahnenschaft gestützt haben.

Diese je über zehn Quadratmeter großen Lünetten wurden, nach den Putzgrenzen überprüfbar, in drei „Tagewerken“ geschaffen, wobei jede der überlebensgroßen Gestalten in einem einzigen Arbeitsgang entstanden sein muß.

Im Gegensatz dazu konnte Michelangelo die Deckenbilder nicht in aufrechter Haltung anlegen. Deshalb findet sich an der Decke der Einsatz aller damals entwik-kelten Hilfsmittel bei wesentlich kleineren Arbeitsportionen (bis zu fünf Tagewerke für eine Figur).

Die Linien der Architekturmalerei sind geschnürt oder eingraviert; die vorgezeichneten Papierkartons wurden mit Nägeln im feuchten Putz befestigt. Mittels Lochpause oder Gravur wurden dann auf die verputzte Malfläche über Kopf die wichtigsten Konturen der Darstellung übertragen.

Der schöpferische Arbeitsprozeß der Freskomalerei, die als einzige monumentale Kunst in direkter Auseinandersetzung am Bau selbst entsteht, ist bei Michelangelo auch technisch, in der Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten, auf seinem absoluten Höhepunkt.

Von dem dreißig Jahre später entstandenen Jüngsten Gericht auf der Westwand der Sixti-na sind weitere Aufschlüsse über die künstlerischen und technischen Pionierleistungen Michelangelos zu erwarten. Derzeit kann der Besucher dort noch den seit Generationen bestaunten und reproduzierten „blinden“ Vorzustand vergleichen: graubraun in

Streifen und Flecken dunkel verfärbte Oberfläche ohne differenzierte Chromatik oder Pinseldetails mit den starken Putzrissen von der Freskotrocknung und viel deutlicheren, gröberen Tagewerken als an der Decke. Teilweise sind auch Farblockerungen, schädliche Mauersalze und an der Decke auch alte Wasserschäden zu beheben.

Für dieses Aussehen ist vor allem ein Anstrich mit heißem Leim verantwortlich, den man mit einer Behandlung im frühen 18. Jahrhundert in Verbindung bringt, als solche Firnisse zur Farbauffrischung beliebt gewesen sind. Dazu kommen noch die zusätzlichen Ablagerungen, die der ungeheure Besucherstrom mit seinen Ausdünstungen sowie Kerzenruß seit Jahrhunderten hervorgerufen haben.

Die Reinigung geschieht nun mit reinen Lösungsmitteln und zeitlich genau dosierten Packungen mit Ammonium- und Natriumkarbonat in destilliertem Wasser, und frei von dem Zeit- und Kostendruck, unter dem sonst häufig auf Jubüäen zugeschnittene Restaurierungen leiden. Dadurch ist kunstgerechtes Arbeiten möglich.

Wenn die Sixtinische Kapelle in einigen Jahren fertig gereinigt und konserviert sein wird, ist dies ein wahrer Festtag, was für alle großen Kunstwerke und ihre Pflegepraxis gelten sollte. Uber Jahrhunderte war Michelangelos Werk eine Schule der Malkunst für die ganze Welt; jetzt ist sie auch eine Schule der Verantwortung für unser Kunsterbe, dessen vorbildliche Herausforderung angenommen werden sollte.

Der Autor ist Universitätsdozent und Leiter der Restaurierwerkstätten des Bundes-denkmalamtes Wien.

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