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Aus unvorstellbarer Zeit

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Der Literarhistoriker, der einmal die Entwicklung und Entfaltung der österreichischen Literatur in der Zweiten Republik, die nun auch schon ein Vierteljahrhundert währt, darstellen wird, muß unbedingt ihrer „Väter” gedenken, jener Männer, die im Chaos der Ruinenwelt die damals junge Generation um sich zu versammeln versuchten, um ihr die Wege in die Literatur zu weisen. Er wird immer wieder den vier Unermüdlichen dieser Zeit begegnen: Otto Basil, Rudolf Felmayer, Hermann Hakel und Hans Weigel. Der Unermüdlichsten einer war der Dichter Rudolf Felmayer, der am 27. Jänner 1970 gestorben ist. Mit der Doppelnummer 165/166 der von ihm seit 1955 herausgegebenen Reihe „Neue Dichtung aus Österreich”, die mit ihren zehn Sonderbänden 176 Nummern umfaßt und damit ein Kompendium der österreichischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt, werden wir an das zweifache Vermächtnis, das er uns hinterließ, gemahnt: einmal beschließt dieser Band, „Landschaft des Alters”, den seine Witwe 1970 aus dem Nachlaß herausgegeben hat, sein eigenes dichterisches Werk, zum anderen Male setzt er auch den endgültigen Schlußpunkt unter eben diese Reihe, die mit seinen übrigen Editionen, von denen noch zu sprechen sein wird, sein geistesgeschichtliches und kulturpolitisches Vermächtnis bildet.

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Der Literarhistoriker, der einmal die Entwicklung und Entfaltung der österreichischen Literatur in der Zweiten Republik, die nun auch schon ein Vierteljahrhundert währt, darstellen wird, muß unbedingt ihrer „Väter” gedenken, jener Männer, die im Chaos der Ruinenwelt die damals junge Generation um sich zu versammeln versuchten, um ihr die Wege in die Literatur zu weisen. Er wird immer wieder den vier Unermüdlichen dieser Zeit begegnen: Otto Basil, Rudolf Felmayer, Hermann Hakel und Hans Weigel. Der Unermüdlichsten einer war der Dichter Rudolf Felmayer, der am 27. Jänner 1970 gestorben ist. Mit der Doppelnummer 165/166 der von ihm seit 1955 herausgegebenen Reihe „Neue Dichtung aus Österreich”, die mit ihren zehn Sonderbänden 176 Nummern umfaßt und damit ein Kompendium der österreichischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt, werden wir an das zweifache Vermächtnis, das er uns hinterließ, gemahnt: einmal beschließt dieser Band, „Landschaft des Alters”, den seine Witwe 1970 aus dem Nachlaß herausgegeben hat, sein eigenes dichterisches Werk, zum anderen Male setzt er auch den endgültigen Schlußpunkt unter eben diese Reihe, die mit seinen übrigen Editionen, von denen noch zu sprechen sein wird, sein geistesgeschichtliches und kulturpolitisches Vermächtnis bildet.

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Die Gedichte aus dem Nachlaß ergreifen uns in einer besonderen Art, weil aus ihnen nicht nur die reife Weisheit des Alters — ihre unvergängliche Landschaft — zu uns spricht, sondern weil wir auch aus ihnen in einem beruhigteren und milderen Klima angesiedelten Versen den noch immer um ein neues Menschenbild ringenden Dichter vernehmen. Einen, der diese „unvorstellbare Zeit” zutiefst durchlebt und durchlitten hait, wovon besonders die „Fragmente und Skizzen aus der Entstehungszeit von .Gesicht des Menschen* (1938 bis 1945)” Zeugnis geben, einen Menschen, dessen „westliche Seele” irn Osten Zuflucht suchte und aus der Blickrichtung fernöstlicher Weisheit zur Abgeklärtheit ihres eigenen kämpferischen Wesens fand. Ihm selbst ist es gelungen, das geschändete Menschenantlitz — „von Schwären krustig und verstümmelt von der Zeit” —, das er in so vielen erschütternden Versen beschrieben und beklagt hat, doch hinüberzuretten in die große und stille Würde des Alters, die den Tod zwar nicht ohne Furcht meditiert, aber gefaßt erwartet als den „Bruder im Gebein”.

So will sich uns des Dichters nachgelassener Versband am Ende auch als eine echte österreichische „Ars moriendi” erweisen, deren Grundakkord von dem Wissen um die „Letzten Dinge” gefärbt und getönt ist. Es ist eine heitere Molltonart, gespeist von weiser Ironie, die sich über den „blinden Fortschrittsglauben” des Atomzeitalters erhebt und den Weg aus der technischen „Sekundärschöpfung” zurück in die göttliche „Primärschöpfung” der Natur gefunden hat, die die schönen, den japanischen Haikus verwandten „Faistenauer Dreizeiler” und die anderen Preisgedichte auf die Landschaft des Ausseer Landes besingen. Was Felmayer einst bei seinen großen Lehrmeistern Hofmannsthal, Rilke und Loerke, zu denen er sich expresses verbis bekannt hat, erwarb, das trug vielfältige Frucht in seinem lyrischen Gesamtwerk, das numehr neun Bände umfaßt: „Die Stillen Götter” (1936 und 1946), „östliche Seele im Tode” (1945), „Gesicht des Menschen” (1948), „Der Spielzeughändler aus dem Osten” (1958), „Repetenten des Lebens”, „Eine wienerische Passion” (beide 1963), „Barocker Kondukt oder A schene Leich Anno 1765” und „Der Wiener und sein Tod. Poesien in der Umgangssprache” (beide 1968), „Landschaft des Alters. Gedichte aus dem Nachlaß”, herausgegeben von Erna Felmayer (1970). Sie alle bilden Teile einer großen lyrischen Lebensphilo- sophie und Anthropologie, die die uralte Frage des 8. Psalms auf ihre Weise stellte: „Was ist der Mensch?” Sie hat sie auch redlich und schonungslos für unsere Zeit des tiefsten menschlichen Absturzes zu beantworten versucht.

In der Festgabe zum 70. Geburtstag

(24. Dezember 1967) des Dichters, die unter dem Titel „Gesicht des Menschen” 1968 erschienen ist, schrieb Franz Richter in seiner Studie über Felmayers Dichtungen in der Umgangssprache: „Was Felmayer auch immer anpackt, seine Sorge gilt dem Überdauern der österreichischen Literatur.” Das ist nicht nur für die eigenen Schöpfungen des Dichters gesagt, das gilt vielleicht in noch viel größerem Maße für den Herausgeber und Förderer der jungen österreichischen Dichtung nach 1945. Seit dem Augenblick, da die Kanonen des zweiten Weltkriegs für Österreich schwiegen und wir uns in der Trümmerwelt zu orientieren suchten, war er bis zu seinem Tode unermüdlich bestrebt, junge Talente zu fördern, vergessene und wenig bekannte Dichter der Öffentlichkeit vorzustellen. In den Jahren 1950, 1951 und 1955 erschienen die drei Folgen der Antologie „Tür an Tür”, der nun, 1970, die vierte und letzte nachgeschickt wurde, die Ema Felmayer — ebenfalls aus dem Nachlaß des Dichters — herausgab. Auch sie ist ein Siegel auf das editorische Werk Rudolf Felmayers, der 1953 Alfred Pentz’ Gedichte aus dem Nachlaß unter dem Titel „Die große Mutter” edierte und 1955 die Lyrik- Anthologie „Dein Herz ist deine Heimat” erscheinen ließ. In ihr versammelte er 110 österreichische Dichter, die zwischen 1938 und 1945 verfemt und verfolgt waren, und schuf so ein wichtiges Quellenwerk für die jetzt erst einsetzende Erforschung der österreichischen Emigrationsliteratur.

Daß sich dieser eigenwillige, ganz und gar nicht konformistische Geist von der Diktatur einer sich absolut setzenden „Avantgarde”, die überdies ihre Wurzeln im Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus hat, ebensowenig beeindrucken ließ wie von den faschistischen Kulturdiktatoren zuvor und allein seinem künstlerischen Gewissen folgte, macht uns das doppelte Vermächtnis Rudolf Felmayers — seine Verse und seine kulturpolitische Tätigkeit als Herausgeber — noch kostbarer und dankenswerter in dieser flüchtigen, allzuvergeßlichen, undankbaren und noch immer „unvorstellbaren Zeit”.

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