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„Der Nachglanz nur der Sterne“

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Wenn wir zur Weihnacht eines Menschen gedenken sollen, dann legen wir unwillkürlich sein Leben nach seinen „guten Werken“ aus. Wir suchen den Einsatz seines Lebens nach einem „Werk der Liebe“ ab. Wir wollen einen Einklang mit dem Sinn der Weihnacht finden. Dies wohl deshalb, weil wir überhaupt noch einen Sinn, nicht nur was die Weihnacht betrifft, suchen. Es ist uns schon zu viel verlorengegangen. Wie kann der Mensch unserer Zeit noch Anteil an der Heiligen Nacht der Liebe und des Friedens haben?

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Wenn wir zur Weihnacht eines Menschen gedenken sollen, dann legen wir unwillkürlich sein Leben nach seinen „guten Werken“ aus. Wir suchen den Einsatz seines Lebens nach einem „Werk der Liebe“ ab. Wir wollen einen Einklang mit dem Sinn der Weihnacht finden. Dies wohl deshalb, weil wir überhaupt noch einen Sinn, nicht nur was die Weihnacht betrifft, suchen. Es ist uns schon zu viel verlorengegangen. Wie kann der Mensch unserer Zeit noch Anteil an der Heiligen Nacht der Liebe und des Friedens haben?

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„Bleibt uns doch auch der Nachglanz nur der Sterne —“ heißt es in dem frühen Gedicht Japanische Nachtübung von Rudolf Felmayer in der kleinen Anthologie Stimmen der Zeit. Rudolf Felmayer, der am 24. Dezember 75 Jahre alt geworden wäre. „Bleibt ums doch auch der Nachglanz nur der Sterne —“ ... unser Werk, unsere Gaben wiegen heute mehr denn je, da das Explo-sionsücht berstender Bomben und Granaten alles Licht in der Nacht ist, und alle Gaben, die der Mensch heute bringt, Haß sind, Mord, Krieg, Zerstörung und Aufbruch einer ziellosen Revolte aus einer sicher nicht sehr heilen Ordnung und Welt, in das Abenteuer einer Menschheitsund Menschenweltzerstörung. Eine Verschüttung der Menschlichkeit, die einengt und verunsichert. Und die Welt, weihnaehtsbezogen, ist sie jener von damals so unähnlich? Heiden kämpfen gegen Juden, Rassenkämpfe, Freiheitskämpfe, West gegen Ost, und Kriege, die den Mord, wie einst den Kindesmord zu Bethlehem, zum unumgänglichen Gebot machen. „Gott ist tot“, hörte man — und der Mensch? Er tötet, tötet. Bethlehems Stern ist gesunken. Es ist finster um uns. Wir haben keinen Blick mehr für Sterne. Bliebe uns doch auch der Nachglanz nur der Sterne....

Der Dichter Rudolf Felmayer, der von sich sagte, daß er zu schreiben begann „wie es am Beginn der Menischheiitstage geschah, eine sakrale Kunst“, wußte am Anfang noch nicht, wie sehr er dieses Wort erfüllen sollte. Denn bald erkannte er, daß er „das Lebensgefühl seiner Epoche zum Ausdruck zu bringen suchen“ müsse. Ihm gilt nun, den Menschen seiner Zeit auszusagen, das Gesicht des Menschen, wie einer seiner bedeutendsten Gedächtbände heißt. Um die menschliche Passion, die Menschen, deren Gesicht „von Schwären krustig und verstümmelt von der Zeit“ nicht aufzuhören uns vor Augen zu halten, ist sicher ein Teil seiner „sakralen Kunst“. Aber nicht nur sein ganzer dichterischer, auch sein menschlicher Einsatz, alle seine Liebe und alle seine Hilfe gilt den Geächteten und Verfolgten, ihnen „weil nun wohl ein jeder jenen suchen muß, dem ein letzter Gedanke gelten soll...“ (Hermann Broch).

Die Passion ist es also, die Kleine Passion, die der Mensch mit seinem Leben im Alltag, in seinem alltäglichen Leben zu erdulden hat, worum es ahm geht. Eine wienerische Passion gilt es Felmayer zu gestalten, wobei es ihm aber sicher immer nur uim die menschliche Passion als solche geht, wie auch bezeichnend ein Zwischentitel in seinem Buch Repetenten des Lebens lautet. Felmayer findet für diese Dichtungen auch eine eigene und so spezifische Diktion, die einmal als „Beamten-Barock“ bezeichnet wurde. Wenn schließlich Rudolf Felmayer sein großes Spätwerk Barocker Kondukt nennt, ist dies sicher nicht nur als eine Zeitorientierung gedacht. Und läßt er endlich auch die Menschen darin in der „Umgangssprache“ reden, dann wohl auch nur, um die Menschen seines Wien unverfälscht und wahr in seiner Dichtung leben zu lassen. Letzten Endes geht es Felmayer auch hier wieder darum, die Passion des kleinen Mannes im Rummel der großen Welt und inmitten der Großen dieser Welt deutlich zu machen.

„Die Qual der Welt“ ist es, die er durchmißt Die er erlitt in opferbereiter Lebensnähe. Um das Unverständliche des Lebens, das diese Qual schafft, geht es ihm. Um die, die sie zu erdulden haben.

„Die Stunde schlägt. Nun muß ich gehen.

Dein ganzer Mut ist jetzt im Blick, nur deine schmalen Wangen flehen ... Ein Lächeln geb ich dir zurück und tu gleich dir, als würde nichts geschehen.“ Wie deutlich wird gerade hier, in dem Gedicht Vor einer Ausreise, sein

Miterleben, sein Mitleben mit jedem, der so überaus hart vom Schicksal gezeichnet wird, daß er nie mehr heimfindet. Vor allem, wenn der Dichter diesem Gedicht, gleichsam als Motto, die Worte voransetzt: „Im Gedenken an Bertie Sigall, noch vorher nach Polen verschleppt.“

Er sucht den Frieden, um ihn für die Ruhelosen zu haben, die heimatlos und ziellos einen Weg gehen, den niemand mitzugehen oder zu kürzen vermag. „Für die, die ohne Stimme sind...“ geht der Dichter und Mensch Falmayer selbst auf die Wanderschaft. Er will ihnen nah sein, nah wie eine Hand, die einfach durch ihre Nähe schon zu trösten vermag. Er will nah sein, auch wo er längst nicht mehr helfen kann. Denn er weiß um die Tröstung in der Verlassenheit, von langen Jahren materieller Not und Arbeitslosigkeit.

Rudolf Felmayer war vielen Freund, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Freundschaft verraten wurde. Sie ist auch von vielen verraten worden, die von ihm lebten und mit seiner Hilfe au Erfolg kamen. Aber er wartete auf keinen Dank und auf keine Gegengabe. Helfen zu können war immer mehr. So war es auch sein erstes, als ratlos die Jungen vor den Trümmern einer nicht zu verstehenden Welt standen, mit einem äußeren wie inneren Aufbau zu beginnen. Zunächst war es nur ein wenig Raum für ein paar Gedichte in der von Otto Basal redigierten Zeitschrift „Plan“. Dann aber schon ein Verlag, mit einer von Rudolf Felmayer verantwortlich herausgegebenen Buchreihe: Neue Dichtung aus Österreich, der die für Österreich ungewöhnlich hohe Zahl von 176 Nummern beschieden war. Eine Reihe, in der Felmayer so vielen Jungen ihre erste und so vielen Vergessenen und Übergangenen ihre einzige Publikation ermöglichte. Er schuf ihnen eine geistige Heimstätte. Eine kulturelle Tat, deren voller gei-stesgeschich'tlicher Bedeutung erst noch nachgegangen werden muß.

Ab 1945 vermag er auch seinem Leben beruflich eine Wendung zu geben. Er wird Lektor im Kulturamt der Stadt Wien — später auch der Städtischen Büchereien und im Rundfunk. Aufgaben, die ihn vor allem mit dem österreichischen Schrifttum in Berührung bringen, aber auch mit den Sorgen und Nöten der Schreibenden. Und so sammeln sich viele um ihn, die der Hilfe, des Zuspruchs und der Förderung bedurften. Felmayer hilft mit hundert Händen und immer neuen Möglichkeiten. Und nicht selten half er mit findigster List. Was er will, setzt er auch geschickt durch. Er war ein kluger Taktiker, aber unmißverständlich und aufgebracht, wenn Engstirnigkeit eine gute Sache in Frage stellte.

Dann sind es die drei Folgen seiner Anthologie Tür an Tür, von der eine vierte und letzte Folge von seiner Frau, Erna Felmayer, aus dem Nachlaß herausgegeben wurde, die das junge österreichische Schrifttum von 1950 bis 1970 etwa anthologisch dokumentiert. Während Felmayer mit der Anthologie Dein Herz ist deine Heimat, eine Dankesschuld an jenen Dichtern abträgt, die in der Zeit zwischen 1938 und 1945 zu schweigen veruitteilt waren, oder verfolgt, verschleppt und getötet wurden. Sie ist den Entwurzelten und Verfemten, den Verlorenen, die in der Fremde keine Heimat und oft keinen Boden mehr unter ihren Füßen finden konnten, gewidmet.

Es ist finster um uns geworden. „Tiefre Nacht löscht meine Sterne einen nach dem andern ' aus...“ (Hermann Broch). Und doch inmitten dieser Nacht die Stimme eines Dichters, die bewahrte, viele vielleicht vor dem letzten Sturz bewahrte: „... vielleicht hast du es geahnt, als du mich suchtest“ (Franz Werfel). ★

Das dichterische Werk Rudolf Fel-mayers umfaßt mit dem Nachlaß neun Titel. Wenn zu Beginn seines Wegs so bezeichnend Die stillen Götter stehen, in denen er sein Gesicht des Menschen zu suchen beginnt, erkennt er, daß die Östliche Seele im Tode es eher ist, aller Bedrängnis menschlichen Herzens näher zu kommen. So versucht er Vom China der Seele aus, den Menschen zu schauen. Hier konnte er erfahren, um dieses letzte Schweigen verstummter Schreie: „... und schreckhaft merkt ich unser Toten-Schweigen.“ Dann aber, wie gesagt, sein umfangreichstes und „signifikantestes Gedichtwerk“ Gesicht des Menschen, das „auch den Menschen der Tat und des Geistes, den Erben hoher Lebensformen, den Wahrer und Mehrer eines Schatzes am Licht und Wärme, an Echtheit und Schönheit“ spiegelt, wie Leopold Liegler es formulierte.

Auch den Spielzeughändler aus dem Osten befragt er, damit er ihm „mit seinen glitzernd offenen Laden das Dunkel dieser Welt erhellt“. Vollendet wird er in der einen Landschaft des Alters, wie der von seiner Frau gesammelte Nachlaßband heißt. Hier ist er frei und unbedrückt, auch von der Last, die er mit anderen teilt, und wie sein Spiel-zeughändiler, schüttet er seine letzte Weisheit aus „angesichts Vom inneren Leben und vom Tode“.

So spürt der Dichter Rudolf Felmayer — er starb am 27. Jänner 1970 —, der auf dunkelster Bahn oft Das Gesicht des Menschen zu schauem suchte, jeden Funken Licht auf, damit uns etwas doch auch vom Nachglanz der Sterne bleibt. Ein Nachglanz der Sterne, die uns verlorengegangen. Vielleicht bleibt eine letzte Spur vom Licht auch für diese Heilige Nacht —?

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