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Bischof der Steppen

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Seit 13. April 1991 ist Jan Lenga, 41, der erste katholische Bischof von Karaganda in Kasachstan. Er hat keine Kathedrale und in seiner riesigen Diözese noch keine einzige Kirche.

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Seit 13. April 1991 ist Jan Lenga, 41, der erste katholische Bischof von Karaganda in Kasachstan. Er hat keine Kathedrale und in seiner riesigen Diözese noch keine einzige Kirche.

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Herr Bischof, wie sieht Ihre Diözese aus?

BISCHOF JAN LENGA: Sie ist etwas über vier Mil 1 ionen Quadratkilometer groß und umfaßt fünf Republiken: Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenien, Kirgisien und Usbekistan. Zur Zeit haben wir 30 registrierte Pfarren, die gerade erst anfangen, aus dem Untergrund aufzutauchen. Bisher haben wir die Genehmigung zum Bau von sechs Kirchen, und Arbeiten haben bereits begonnen.

Hat sich die Lage der Katholiken in Zentralasien wirklich verändert?

LENGA: Ja. Man muß bedenken, daß ein Priester, der den Behörden bekannt war, bis vor kurzem noch eine Erlaubnis einholen mußte, um jemanden zu besuchen, der krank war. Man wird jetzt, besonders nach dem Putsch, in Ruhe gelassen.

Woher kommen die Katholiken in den zentralasiatischen Republiken?

LENGA: Man muß sich vorstellen, daß es mehr als 100 verschiedene Nationalitäten in Kasachstan gibt! Die größte katholische Gemeinde bilden Hunderttausende Deutsche, die von Stalin hierher deportiert wurden. Des weiteren gibt es Polen, Ukrainer, Litauer... Fast alle sind ältere Menschen, sie wurden deportiert. Alle ethnischen Gruppen - katholisch oder nicht - neigen dazu, in sich gekehrt zu sein. Es gibt sehr wenige Mischehen. Als Kirchensprache bedienen wir uns daher der Sprache der Gemeinde -deutsch oder polnisch plus russisch.

Ehe Sie Bischof von Karaganda wurden, lebten Sie in einem Dorf in

Kasachstan. Sind Sie von dort?

LENGA: Nein. Ich wurde in der Ukraine geboren, und meine Familie ist polnisch. Ich war jedoch niemals nur ein Priester für Polen, sondern für jeden, und das möchte ich auch bleiben. Unsere Kirche ist universal, sie ist für jeden da. Ich wurde in Litauen im geheimen ausgebildet. Vor elf Jahren weihte mich Bischof Sladke-vicius, jetzt Kardinal, geheim zum Priester. Unmittelbar danach schickte mich die Kirche nach Tadschikistan, wo ich Arbeit finden mußte und zugleich mein geistliches Amt im Untergrund begann. Es dauerte nicht lange, bis der KGB auf meine Spur kam. Sie wollten den Namen des Bischofs wissen, der mich geweiht hatte, und zwangen mich, die Republik zu verlassen. So kam es, daß ich mich in Kasachstan niederließ.

Vor welchen Problemen steht die Kirche in Zentralasien?

LENGA: Die meisten Gemeinden waren so lange von der Außenwelt abgeschnitten, daß sie der Entwicklung der Kirche nicht folgen konnten. Es gab außerdem nur eine Handvoll Priester. Heute, nach Erlangung ihrer Freiheit, wissen die Menschen nicht, was sie von ihrer Kirche außer den Sakramenten zu erwarten haben.

Die Anzeichen eines praktischen Materialismus werden zunehmend sichtbar. Es sind meist ältere Menschen und Kinder, die in unsere Kapellen zur Messe kommen. Jugendliche und junge Erwachsene wissen oft nichts Uber Religion, es ist ihnen auch nicht bewußt, daß sie damit etwas für sich gewinnen könnten.

Im Laufe der letzten Jahre haben wir geheim einen intensiven Seelsorgeplan begonnen. Laien wurden ausgebildet, um sich um die Gemeinden zu kümmern. Vergessen Sie nicht, daß für unsere Begriffe zwei Gemeinden, die 500 Kilometer auseinander liegen, Nachbarn sind; die meisten

sind mehr als 1.000 Kilometer voneinander entfernt.

Diese Laien sind sicher eine wertvolle Basis für die Zukunft...

LENGA: Leider nicht, denn die meisten sind Deutsche und verlassen die UdSSR.

Wo liegen in dieser schwierigen Lage Ihre Prioritäten?

LENGA: Als erstes in der Ausbildung verantwortlicher Laien. Wir haben bereits verschiedene katechetische Gruppen gebildet. Als nächstes, bedingt durch die Abgeschnittenheit der Gemeinden, müssen wir uns auf religiöse Literatur konzentrieren. Das im Augenblick am meisten benötigte Buch ist ein Katechismus unter dem Namen „Viriou" („Ich glaube"). Das ist die Grundlage, das Wichtigste...

Wie ist das Verhältnis zum Islam?

LENGA: Die Situation in Kasachstan ist nicht so schlecht, da der Islam aufgrund des Vorhandenseins anderer nicht-moslemischer Minderheiten ziemlich liberal ist. In Kasachstan sind ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung moslemisch. Die Lage in Tadschikistan und Usbekistan ist wesentlich emster. Die Bevölkerung ist weitgehend homogen, sie tendiert zu einem gewissen Fanatismus und ist ziemlich aggressiv gegenüber „Weißen" -Nicht-Moslems sind für sie „weiß".

Wie ist das Verhältnis zur orthodoxen Kirche?

LENGA: Keineswegs schlecht. Jeder bleibt jedoch für sich. Katholiken besuchen keine orthodoxen Kirchen und würden nur im äußersten Fall, zum Beispiel in Todesgefahr, einen orthodoxen Priester zur Vollziehung der letzten Riten rufen. Zum Glück sind die Beziehungen zwischen Katholiken verschiedener Riten gut.

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