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Religion hat keine Konkurrenz

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FURCHE:Vergangenes Jahr gab es mehrere große Aktionenvon Gläu- bigeninder Tschechoslowakei-etwa die große Unterschriftenaktion für religiöse Freiheit oder die Kerzendemonstrationin Preßburg. Was sind die Ergebnisse?

JAN CARNOGURSKY: Vor allem ist das Selbstbewußtsein der Gläubigen dadurch gestiegen. Die Aktionen haben gezeigt, daß auch die sogenannte Untergnmdkirche in der Lage ist, die Gläubigen zu organisieren, und daß sie fähig ist, praktischen Einfluß auszuüben. Im kommunistischen J argon würde man das den „Apparat“ nennen. Also, die geheime Kirche hat einen „Apparat“. Die Kundgebungen haben gezeigt, welches Potential die Kirche im allgemeinen und die geheime Kirche im besonderen hat.

FURCHE: Haben seither die Behörden ihr Verhalten gegenüber den Gläubigen geändert?

CARNOGURSKY: Die Behörden haben erkannt, daß sie sich nicht so ohne weiteres durchsetzen können. Zum Beispiel wurde die Verfolgung der geheimen Kirche fast eingestellt. Noch 1986 waren zwei Priester verurteilt worden, weil sie eine Messe in einer Wohnung zelebriert hatten. Junge Leute wurden verurteilt, weil sie religiöse Versammlungen inHüt- ten und Wohnungen organisierten.

Die Polizei verfolgte immer diese Treffen, nun wurde das eingestellt. Es ist auch sehr wichtig, daß Studenten, die an diesen Treffen teilnehmen, nicht mehr vom Hinauswurf aus Schule oder Universität bedroht 6ind. Auch die Aktivitäten der Untergrundpresse werden jetzt eher toleriert.

FURCHE: Wie ist das Verhältnis von Staat und Geheimkirche, die sich ja als Folge der Repressalien d9r Behörden gegenüber Gläubigen herausgebildet hat?

CARNOGURSKY: Die Geheimkirche wird im offiziellen Sprachgebrauchais „illegale Kirchenstruktur“ angeprangert. Der stellvertretende Kulturminister Vincent Ma- covsky hat in einem Interview mit „Novo Slovo“ (der Zeitschrift für Ideologie) zwischek zwei Gruppen unterschieden: und zwar einerseits den Laien, die „im guten Glauben sind“, daß ihre Aktivitäten der Kirche und der religiösen Freiheit zugute kommen-, quasi, sie seien sich gar nicht bewußt, was sie da anstellen. Und andererseits den „bezahlten Organisatoren“, die Befehle vom Ausland ausführen würden. Bisher wurde die ganze Sache als schlecht bezeichnet. Jetzt gibt man einzelnen zu verstehen, daß sie doch noch Gnade zu erwarten hätten.

FURCHE: Besteht jetzt auch eine Chance, daß Priester ohne Berufserlaubnis wieder zum Dienst zugelassen werden könnten?

CARNOGURSKY: Das ist ein weiteres Resultat des größeren Engagements der Gläubigen. Die Priester verlieren nicht mehr so leicht die staatliche Genehmigung zur Berufsausübung. In den siebziger Jahren wurden zirka 200 Priester vom Dienst suspendiert. Aber neben den offiziellen Priestern gibt es auch geheime Priester, die nicht in unseren Seminarien studiert haben, und von geheimen oder ausländischen Bischöfen geweiht wurden. Von diesen gibt es rund 200 bis 300, die von denBehörden nicht anerkannt werden, aber inoffiziell Seelsorge betreiben. Diese Priester haben fast kein Interesse, in die offizielle Seelsorge einzutreten. Denn dann wären ihre Tätigkeit ständig unter der Lupe der Polizei.

FURCHE: ln der Petition der Gläubigen wurde auch Freiheit für den Religionsunterricht gefordert.

CARNOGURSKY: Das ist vielleicht der größte Fortschritt, den wir erkämpft haben. Seit Juni vorigen Jahres gibt es die Möglichkeit,

daß die Eltern die Kinder beim Pfarramt für den Religionsunterricht anmelden. Vorher mußten die Eltern dies in der Schule tun. Direktor und Lehrer übten dabei aber einen unheimlichen Druck aus, die Anmeldung wieder zurückzuziehen. Bei der neuen Regelung muß jetzt der Pfarrer eine Liste der angemeldeten Kinder den Behörden zur E in- sichtnahme schicken.

FURCHE: Melden zur Zeit mehr Eltern ihre Kinder zum Religionsunterricht an?

CARNOGURSKY: In den Städ- tenhatdie Zahl der Kinder, diezum Religionsunterricht geschickt werden, um das Fünf- bis Siebenfache zugenommen.

FURCHE: Unter der Jugend soll das religiöse Interesse steigen?

CARNOGURSKY: Ich sehe da zwei Unterschiede der Lage hier im Verhältnis zum Westen: Die Rückkehr zur Religion geschieht, weil die Jugendlichen sonst keinen Sinn im Leben sehen. Und außerdem gibt es hier keine anderen engagierten Strömungen wie die Grünen oder andere, wie es sie im Westen gibt. Der kommunistische Jugendverband ist eine völlig sterile Angelegenheit. Die Religion hat also keine wirkliche Konkurrenz. Und somit - das muß man bedenken - ist ihr gesellschaftlicher Einfluß wesentlich größer als die Zahl ihrer praktizierenden Anhänger.

Mit dem Rechtsanwalt Jan Camogursky, einem Mitinitiator der religiösen Kundgebungen vom Vorjahr in Preßburg und der Unterschriftenaktion für mehr religiöse Freiheit in der CS5R, sprach Carola Letzew.

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