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Bitterer Zucker

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Die Regierung des Zuckerlandes bereitet der Bevölkerung eine böse Überraschung: am 1. März wurden die inländischen Zuckerrationen um 33 Prozent herabgesetzt. Begründung: „Zaf ra — 1972“ (die Rohrernte) ist sehr schlecht! Die Exportverpflichtungen Kubas, vor allem nach der Sowjetunion, sind groß und können nicht reduziert wenden. Dabei ist weder die „Nationalehre“, noch die Ideologie sondern ausschließlich die Außenhandelsbilanz entscheidend. Deshalb wurde mit der Zuckerrohr-ernte in dieser Produktionsperiode viel früher begonnen als in anderen Jahren. Zucker ist noch immer Kubas Hauptexportartikel. Ohne Zuckerausfuhr keine größeren Deviseneinnahmen und keine Weiterentwicklung der Wirtschaft.

Schon Mitte September 1971 wiesen die „Zuckerrohrtechniker“ darauf hin, daß die Ernte kaum die 6-Millionen-Tonnen-Grenze erreichen werde, dessen uneachtet, daß die Wirtschaftsplaner mit 6 y, Millionen Tonnen gerechnet hatten. Das Wetter war ungünstig, die chronischen Organisationsmängel komplizierten die Situation und die Arbeitsproduktivität war niedrig. Das war für die Regierung deprimierend, da die Ernte vor einem Jahr 5,924.335 Tonnen ausgemacht hatte. Das Endresultat von 1972 kann erst nach zwei Monaten ermittelt werden.

Ende Februar standen — laut Radio Havanna — 138 Fabriken in Betrieb. Am Ende der ersten Produktionshalbzeit, also am 1. Jänner 1972, waren jedoch nur 70 Zuckerfabriken tätig. Der besagte Sender erwähnte auch, daß manche Fabriken nicht ausreichend mit Zuckerrohr beliefert wurden und daß in anderen technische Probleme aufgetreten seien. Die Erntemethoden seien geändert worden auf die „australische Methode“, die darin besteht, daß die Rohrfelder abgebrannt werden, bevor der Schnitt des Rohres beginnt, um einen höheren Ertrag erzielen zu können. Unter diesen Umständen ist es unbedingt notwendig, daß die Fabriken bereitstehen, daß mit der Arbeit unverzüglich nach der Einlieferung des Zuckerrohrs begonnen wird. Damit alles funktioniert, müssen gutgeschulte Erntearbeiter in bester körperlicher Verfassung, ein gut organisiertes Transportsystem und technisch einwandfrei vorbereitete Fabriken zusammenspielen. Deshalb erließ Castro seit 1970 Warnungen, Aufrufe, Beschwörungen und Drohungen gegen „Saboteure“. Zu Beginn der laufenden Ernte hat die

Gewerkschaft der Zuckerarbeiter Appelle an die Provinzräte in einem ähnlichen Sinn gerichtet. Beispielgebend war der Gewerkschaftsaufruf in der Provinz Las Villas, wo „bessere Nutzung der Arbeitszeit,

Bekämpfung der Faulheit und des

Fernbleibens der Arbeiter“ gefordert wurden. Mitte Dezember 1971 richtete das PolitJbüromitglied Ar-mando Hart-Davalos einen Protestbrief an 600 Repräsentanten der Arbeitnehmer in Tuiias und in der Puerto-Patre-Amancio-Region, für bessere Produktivität zu sorgen. Er bezeichnete es als „unmoralisch und antirevolutionär“, wenn die Zuckerfabriken wegen irgendwelcher Hindernisse ihre volle Kapazität nicht entwickeln könnten. Er verlangte die Verbesserung der Organisation, die Erhöhung der Produktivität und die sofortige Eliminierung des Arbeitskräftemangels.

In der zweiten Phase der Rohrernte (vom 1. Jänner bis zum 10. Februar 1972) hat sich aber an der Misere nicht viel geändert. Granma schrieb darüber: „Die Anstrengungen in der nächsten Phase dieses neuen Kampfes unserer Wirtschaft müssen potenter werden. Aber der Schlüssel zum Erfolg ist noch immer der Mensch! Um einen größeren Erfolg zu sichern, wurde in der Provinz Matanzas der Nationalverband der Kleinfarmer mobilisiert. Obwohl man darüber nicht laut sprechen darf, behaupten die Experten, daß der Hauptgrund für die niedrige Produktivität das vorjährige „Gesotz gegen Müßiggang“ sei. Für Faulenzer wurden damals Arbeitslager eingerichtet, von wo aus die Arbeitskräfte direkt auf die Schwerpunkte dirigiert werden. Die Macheteros sind aber davon gar nicht begeistert, sie bummeln und faulenzen, wo und wie sie nur können.

Der Ernteertrag hängt weitgehend von ungelernten „freiwilligen Erntearbaitern“ ab. Da es keinen materiellen Ansporn gibt, breitet sich in allen Schichten der Erntehelfer und Berufsarbeiter Apathie aus.

Die Mobilisierung und Rekrutierung ungelernter Arbeitskräfte ist noch im Gange. So wurden mehr als 40.000 Mittelschüler auf die Rohrfelder geschickt, die beim Rohrschnitt, bei der Taibakernte und auch sonstwo in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Im Jänner 1972 wurden weitere 30.000 jüngere Hochschüler zur Arbeit abkommandiert. Dazu kommen noch viele tausende Frauen, die vom Kubanischen Frauenbund auf die Felder dirigiert werden. Außerdem gehen zahlreiche „freiwillige Frauenbrigaden“ in die Erntegebiete, um die Wohnquartiere der Arbeiter zu pflegen und um verschiedene kulturelle und politische Tätigkeiten auszuüben.

Auf die kubanischen Frauen wartet in diesem Monat eine noch schwierigere Kampagne, ein fast „traditionelles Problem“ des Castro-Regimes: die Ausarbeitung und die Propagierung eines „Essens- und Rezeptplans“, der infolge der schmerzhaften Senkung der Zuckerrationen notwendig geworden Ist.

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