7045473-1990_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Bruno Kreisky: Ein König Lear von Österreich

Werbung
Werbung
Werbung

Ihm war unerhört Großes zu- teil geworden. Bei einer Natio- nalratswahl bekam er in einem Wahlkreis besonders viele, über- raschend viele Stimmen; und dies war ein bäuerlicher Wahlkreis, in den eigentlich der Intellektuel- le, der Städter, der- sagen wir es ohne Hemmungen - der Jude nicht recht paßte. Er sagte ein- mal: Zweierlei kann ich nicht werden: Parteivorsitzender und Bundeskanzler. Beides wurde er. Und es.ist ein großer Erweis unserer vielverlästerten Gesin- nung, daß, wie umstritten immer er war, bei den Argumenten ge- gen ihn das Religiös-„Rassische " kaum eine Rolle spielte.

Und weil er „Jude" war, konn- te er eher als andere, unmißver- ständlicher als andere, Stellung zum Staat Israel nehmen. Er hat einmal die Ministerpräsidentin Golda Meir sehr schlecht behan- delt. Das konnte man gutheißen oder tadeln, aber man konnte ihn nicht als Antisemiten bezeichnen.

Er fühlte sich im Kreis seiner Partei zu Hause, aber er schätzte auch den bürgerlichen Umgang. Er war ein Politiker, aber er war - ich glaube es zu wissen, und einige Nachrufe bestätigen es mir - er war sauber, er war nicht korrupt, wenn er auch im Sinn seiner Par- tei gewisse Entscheidungen traf, die als Protektion zu klassifizie- ren sind.

Und dann kam der Bruch mit Hannes Androsch und die Spal- tung der Meinungen zwischen den beiden, längst vorbei, aber wir sollten es heute nicht vergessen: eine Unvereinbarkeit, die nicht hätte sein dürfen. Sie muß eine tiefe Narbe in seiner Seele hinter- lassen haben, eine Kronprinzen- tragödie von klassischem Maß.

Er verlor eine Abstimmung, doch das war Politik und ging nicht an die Substanz, ebenso wie die Querelen mit der „schwarzen" Gegenseite. Wir dürfen nicht ver- gessen, daß Seite und Gegenseite einander zu den Lebzeiten vieler Heutiger mit schwerer Artillerie beschossen haben. Das kann nicht so leicht ausgelöscht werden, das erklärt die gelegentliche kämpfe- rische, für mich unerträgliche homerisch beschimpfende Atmo- sphäre unserer Innenpolitik.

Und nach der Kronprinzentra- gödie kam die Tragödie der Söh- ne.

Man nannte ihn den „Sonnen- könig", und das war ein schmei- chelhafter, stolzer Spitzname. Der König wollte als guter Hausvater sein Anwesen geordnet seinen Nächstenübergeben. Er selbstwar, das sagte ich schon, sauber und nicht korrupt. Von ihm ist nur der Ausspruch überliefert: „Macht's es unter der Tuchent." Schmerz- lich, gewiß, aber ein Symptom der Hilflosigkeit des Alternden. Er verstand die Welt nicht mehr. Und er mußte es erleben, wie seine Kinder, den Töchtern des König Lear gleich, an das Kriminelle anstreiften, wie die Justiz an sie heranrückte, wie eine stolze Par- tei, die Partei Victor Adlers, Karl Renners, Otto Bauers, nicht mehr so war> daß man stolz auf sie sein konnte.

Nicht jeder, der in diesen Tagen große Worte zu seinem Andenken macht, hat das moralische Recht dazu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung