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Chabans Steuern

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Vertreter der Opposition Chaban-Delmas in keiner Weise einer ille-galen Handlung beschuldigt. Sie kri-tisieren ein Steuersystem, das die Lohn- und Gehaltsempfanger trifft, die Kapitalisten aber verschont. 1965 hatte der damalige und jetzige Fi-nanzminister Giscard d'Estaing ein Gesetz eingebracht, dessen Trag-weite sich die Abgeordneten nach eigenen Gestandnissen kaum be-wuBt waren: Wenn ein franzosischer Betrieb Gewinne erzielt, muB er 50 Prozent an Steuern abfuhren. Der Rest wird unter den Aktionaren als Dividende verteilt. Diese Einnahmen werden ein neuerliches Mai von den Steuerbehorden als personliches Ein-komimen mit 27 Prozent belastet. Auf der anderen Seite wird die Halfte der von den Betrieben ver-rechneten Steuern den Aktionaren gutgeschrieben. Wer also iiber ge-niigend Kapitalien verfiigt und sich den Luxus leisten kann, Borsen-papiere zu kaufen, rechnet mit einem so gut wie steuerfreien Einkommen.

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Vertreter der Opposition Chaban-Delmas in keiner Weise einer ille-galen Handlung beschuldigt. Sie kri-tisieren ein Steuersystem, das die Lohn- und Gehaltsempfanger trifft, die Kapitalisten aber verschont. 1965 hatte der damalige und jetzige Fi-nanzminister Giscard d'Estaing ein Gesetz eingebracht, dessen Trag-weite sich die Abgeordneten nach eigenen Gestandnissen kaum be-wuBt waren: Wenn ein franzosischer Betrieb Gewinne erzielt, muB er 50 Prozent an Steuern abfuhren. Der Rest wird unter den Aktionaren als Dividende verteilt. Diese Einnahmen werden ein neuerliches Mai von den Steuerbehorden als personliches Ein-komimen mit 27 Prozent belastet. Auf der anderen Seite wird die Halfte der von den Betrieben ver-rechneten Steuern den Aktionaren gutgeschrieben. Wer also iiber ge-niigend Kapitalien verfiigt und sich den Luxus leisten kann, Borsen-papiere zu kaufen, rechnet mit einem so gut wie steuerfreien Einkommen.

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Diese Mafinahme wurde seinerzeit getroffen, um die Besitzer von Ver-mogen anizureizen, franzosische In-dustriepapiere zu kaufen und nicht etwa die Gewinne auf Schweizer Nummernkonten zu verstecken, oder sonstige okkulte Placierungen im Ausland zu realisieren.

Wenig Public Relations

Die Verteidiger des Ministerprasi­denten handelten vielfach unge-schickt. Die offiziellen Kommuni-ques bestatigen die Ent'hullung in der satirisehen Wochenzeitung, fug-ten jedoch ernst hinzu, daB alles ge-schah, wie das Gesetz es befahl. Der kleine Gewerbetreibende, Arbeiter und Lohnampfanger weiB allerdings mit diesen verwinkelten Para-graphen nichts anzufangen. Einmal schwieg man diskret, ein anderes Mai veroflentlichte man ein Dementi, aber die simple Darlegung des Falles wurde vermieden. Es mangelte an psychologischem Einfiihlungsvermo-gen und an Public Relations.

Die komimunistische Partei ver­oflentlichte am 3. Februar die Steuererklarungen samtlicher Abge-ordneter und vermeldete auBerdem triumphierend, die KP-Gewaltigen besaBen nicht einen Franc an steuer-lichem Guthaben, das aus Aktien-besitzen resultiere. Die Armen! So-zialisten und das Zentrum unter Fiihrung Servan-Schreibers stoBen kraftig in das igleiche Horn. Stolpert Chaban-Delmas iitoer das verwir-rende System der Steuergesetz-gebung?

Geriichten zufolge soil der gegen-wartige Unterrichtsminister, Olivier Guichard, mit Ungeduld auf einen Ruf des Staatsoberhauptes warten, das Amt eines Ministerprasidenten zu iibernehmen. Hinter den Kulissen werden auf alle Falle die Messer frisch geschliffen. SchlieBlich und endlich steht man ja vor Parla-mentswahlen.

Gelegentlich beeinfiuBt sogar ein Zeitungsartikel das poli­tische Geschehen einer, Nation, noch dazu, wenn er im ange-sehensten Blatt erscheint und vom besten Kenner der Innen-politik verfaBt wird. Unter dem Titel „Das Ungliick eines gliick­lichen Mannes“ erstellte Pierre Viansson-Ponte — stellvertre-tender Chefredakteur von „Le Monde“ und Autor eines zwei-bandigen, vorziiglichen Werkes iiber die gaullistische Epoche — die Bilanz des Steuerskandals um den franzosischen Minister­prasidenten Chaban-Delmas. der Kuraufenthalt in Fresnes kei-neswegs. Er stlefi dustere Drohungen gegen die Machtigen in Regierung und Verwaltung aus. Vor vier Mona-ten veroflentlichte die satirische Wochenzeitung „Le Canard En-chaine“ die Steuererklarung des amtierenden Ministerprasidenten und publizierte mit dieser Enthui-lung laufend weiteres Material, dar­unter einen Brief von Chaban-Del­mas an den Steuereintreiber Dega, in dessen Kompetenz aber das Haus gar nicht lag, in dem Chaban-Delmas mit seiner zweiten Gattin zur Zeit Flitterwochen verbringt.

Vier Jahre keinen Centime

Die staunenden und vielfach empdrten Franzosen, denen in diesen Tagen die schroffen Aufforderungen zuflatterten, das erste Drittel jhrer Steuern fiir 1972 zu berappen, stell-ten fest, daB der Regierungschef vier Jahre hindurch keinen Centime an den Staat geleistet habe. Allerdings haben selbst die einfluBreichsten i-'uouaiij. 1 well 1U1 uic v . ivcrpu blik reich an dubiosen Affaren. Al am 4. Dezember 1971 der Steuer Zentralinspektor Edouard Dega un­ter Anschuldigungen des MiBbrauchs der Amtsgewalt verhaftet wurde, wuBten bereits die Eingeweihten, daB iiber kurz oder lang eine Bombe explodieren werde. Der wendige Steuer-buttel habe beguterten Biir-gern des Pariser Nobelviertels Rat-schlage erteilt, wie man sich aus den harten Griffen des Fiskus winden konne. Zehn Personen, darunter ein ehemaliger Minister der IV. Republik und die Witwe des Zeitungs- und Verlagszaren Hachette, wurden im Verlaufe der Untersuchungen der be-triigerischen Steuerhinterziehung be-zichtigt.

Monsieur Dega hat auch einen Bruder namens Georges. Besagtes Familienmitglied war — die Wahr-heit sickerte langsam, aber sicher durch — Berater des Prasidenten Chaban-Delmas, in seiner Eigenschaft als Minister der IV. und als Vorsitzender der Karomer der V. Re­publik. Dem hohen Beamten geflel

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