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Das Dementimeter

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Samstag, etwa gegen 22 Uhr, hatte Dr. Helmuth Luckskanderl, ' dienstältester Generalsekretär unter den westeuropäischen Oppositionsparteien, gleichermaßen gelangweilt wie dienstbeflissen und routiniert die Spätnachrichten im Lokalfernsehen seines Urlaubsortes verfolgt. Nach der üblichen, allerdings durch ein alpines, alkoholisches Getränk verlängerten Inkubationszeit — immerhin war es Dezember, Dr. Luckskanderl im Skiurlaub und solchermaßen reichlich auf innere Befeuerung angewiesen — schloß er scharf und schaltete schnell.

Der vorgenommene akustische Seitenhieb hatte zwar nicht recht gesessen, aber immerhin seiner Partei gegolten. Wenn auch und in erster Linie dem Vorsitzenden, den ohnedies nur die regierungstreuen Medien und kaum jemand in seiner Partei je so recht gemocht hatte ... Dennoch, ein Parteifunktionär war angegriffen worden. „Also“, mißmutete Dr. Luckskapderl, „Arbeit!“ Um all- sogleich erleichtert zu sprichwör- teln: „Auf eine geklotzte Meldung gehört ein grobes Dementi!“

Niemand hätte solcher politischen Vernunft widersprochen, auch wenn jemand da gewesen wäre. Wie aber die Stärke der Klotzung, den Grad der Grobheit, die Heftigkeit der Attacke, ja selbst die genaue Richtung des Angriffes feststellen? Um flugs und fein dosiert die Gegenaktion einzuleiten?

Noch vor wenigen Tagen hätte Dr. Luckskanderl ob solcher ihm ins Urlaubshaus stehenden Mühsal gequält gestöhnt, nun aber lächelte er bloß teuflisch, schritt wandwärts zur fernsehabge- wandten Seite des Zimmers, rückte die Farblithographie eines reichlich überbezahlten realistischen Fantasten aus Wien-Erdberg zu Seite, lüpfte die äußerst gestreifte Tapete, drehte an einem solchermaßen sichtbar gewordenen Metallzapfen — hin und her, klick, her und hin, klick —, öffnete den verborgenen wie parteifinanzierten Geheimschrank und entnahm ihm ein palisanderfarbe- nes, zylindrisches Behältnis, auf dem fein ziseliert, besser zu fühlen denn zu sehen, stand: „Dementimeter, Pat. ang.“

Nun weiß sicherlich jeder geschätzte Leser die Abkürzung „Pat. ang.“ richtig zu entschlüsseln, was aber ist ein „Dementimeter“? Eine Apparatur immerhin, die einen oppositionellen Generalsekretär trotz bevorstehender Parteiarbeit zu einem, wenn auch dämonischen Lächeln verführen kann! Ein Wunderding jedenfalls.

Im Dementimeter wird das politische Gewicht der eingegebenen Meldung gewogen und die Anzahl der möglicherweise beeinflußten Wechselwählerstimmen, dividiert durch die Zahl voraussichtlich zurücktretender Funktionäre der eigenen Partei, multipliziert

Fieberkurve mit der dritten Wurzel nicht auszuschließender Parteieintritte, ausgegeben. Daraus errechnet ein links seitlich angebrachter Mikrocomputer („Dementikalkulator, Pat. reg.“) nun die Länge des zu erstellenden Dementis in Anschlägen und Zeilen, den Schriftgrad und die Schriftart bei schriftlichen Dementis, die Sprache (Dialekt?!) und die Tonlage bei mündlichen Dementis sowie die Art der Medien und die maximal erforderlichen Honorare für die zwischenzuschaltenden P.R.- Vermittler.

Schließlich erscheint auf einem Leuchtdiodenband hoch die empfohlene Art des auf die eingegebene Meldung abzufassenden Dementis. Denn es ist ja nicht gleichgültig, ob es sich bei dem auf die vermessene Information zu produzierenden Dementi um ein Bestätigungsdementi, ein Widerlegungsdementi, ein Verstärkungsdementi, ein Entschuldigungsdementi — oder gar um ein Dementidementi handelt!

Genug der dementologischen Theorie! Zurück zu Dr. Lucks- kanderl. Der nahm sein Dementimeter in praktischen Betrieb, las Werte ab, gab Daten ein, drehte an Rändelschrauben, verschob Stellstäbe und tat dies und das. Noch am folgenden Montag konnte man auf Seite zwei im Regierungsblatt den auslosendęn Anlaß lesen: „Oppositionsführer ratlos. Steht Umbildung des Schattenkabinetts ins Haus?“

Gespannt schlug ich dienstags die Oppositionsgazette auf. Da dementelte es schon kräftig: „Parteiobmann entschlossen. Personelle Veränderungen finden nicht statt!“

Als Mittwoch der stellvertretende Obmann infolge eines akuten Meniskusleidens kurzfristig zurücktreten mußte, folgte Donnerstag in einem Hörfunkinterview die erklärende Berichtigung: „Neue Oppositionsmannschaft ist das Ergebnis eines langfristigen und von der Basis getragenen Entscheidungsprozesses.“

Während der Freitag wieder ganz im Banne der Erklärung des Regierungschefs stand: „Der Herr Oppositionsführer ist nicht mehr Herr seiner Partei“, erfuhren wir in der Wochenendausgabe endlich die ganze Wahrheit, und nichts als diese: „Bundesparteiobmann zeigt Führungsqualität: neues Programm mit neuer Mannschaft“.

Wer aber glaubt, hier waren dunkle politische Mächte am Werk oder gar einfache Parteimitglieder, der irrt gründlich. Der Dr. Luckskanderl war’s, ganz alleine, in seinem Winterurlaubsort. Mit seinem Dementimeter allerdings, das schon.

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