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Das Fürchten gelehrt

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Bemerkenswert offen legte kürzlich der scheidende leitende Bischof der evangelischen Kirchen in der DDR, Albrecht Schönherr, die Lage der dortigen Christen auf der Tagung des Weltkirchenrats in Dresden dar.

Immer weniger Menschen lassen ihre Kinder taufen und die Zahl der kirchlichen Trauungen nimmt rapide ab. Die Gottesdien-stedegenerierenzu Versammlungen kirchlicher Mitarbeiter, und nur bei regionalen Kirchentagen füllen sich Kirchen und Säle. Die Abkapselung von den Kirchen Westdeutschlands, seit dem Mauerbau erst schrittweise, dann immer konsequenter aufgezwungen, trägt ihre Früchte.

Sie ist aber nicht der entscheidende Grund. Andere Kirchen Osteuropas müssen in bedeutend größerer Isolierung leben und sind doch geistlich lebendig. Das politische Zwielicht, in welches sich die Kirchenführer in beiden Teilen Deutschlands hineinmanövrierten, ist der Hauptgrund für das Beiseitetreten der Gemeindeglieder.

In der DDR war die Kirche bis in die sechziger Jahre hinein eine klare Alternative zum ungeliebten Staat. Eine Fluchtburg, in welcher Asyl gewährt wurde - eine Oase in der Wüste abgestandener Parolen und dialektisch herausgeputzter Dummheiten.

Millionenfach war die Grenze schon mitten diesseits der tödlichen Staatsgrenze zwischen An standigen und Angepal.Uen, zwischen Ablehnern und Duldern dieses kommunistischen Systems gezogen. Der Tod Oskar Brüsewitz' vor genau fünf Jahren machte es noch einmal deutlich.

Das alles gehört der Vergangenheit an. Jetzt bemüht sich die evangelische Kirche, wie Schönherr betonte, „im sozialistischen Staat" ihren Platz zu finden. Er ist aber längst besetzt: von Enttäuschung und Langeweile, von Glück-im-Kämmerlein-Gesinnung und Schrebergartenmentalität. Die Kirche hat sich mit ihrer Eilfertigkeit, nur nicht Frontlinien innerhalb des Staatsvolks zu fördern, selbst aus dem Rennen gebracht.

Für viele, vor allem norddeutsche Landeskirchen in der Bundesrepublik, gilt ganz ähnliches: Rückgang des kirchlichen Alltags, Zunahme des Andranges bei außer-ordentlichen Veranstaltungen, wie jüngst dem Kirchentag in Hamburg.

Aber auch die Gründe, wie gerade diese Veranstaltung zeigte, sind ähnlich: das geistliche Wort leidet sich am politischen zu Tode und wird von ihm zur Dekorierung weltfremder Ideologien mißbraucht. Diese Kirche kann schon - im Gegensatz zu der Hamburger Parole „Fürchte dich nicht" - das Fürchten lehren. Oder, wie Erfahrung lehrt, zum Austritt motivieren.

Der Autor ist reformierter Pfarrer i. R.

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