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Das Licht in der Höhle

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Der Mann hob es aus der Krippe und die blasse Frau legte es an ihre Brust.

Gerhard und ich waren von diesem Bilde der Weihnacht tief angerührt. Kampf und Not, Einsamkeit und Schwermut versanken vor dem Schönen, das unser Herz bannte und das wir dankbar geschehen ließen.

Es sei wohl schwer gewesen, dieses Abschiednehmen von Scholle und Herd, diese Flucht ins Ungewisse, ins Darben und Notleiden, sagte ach zu den Himaitlosen, Da blühte ein inniges Lächeln aus dem Antlitz der jungen Mutter und leise sprach sie:

„Wir haben jetzt das Kind.“

Das Kind! Den größten Reichtum der Welt besaßen nun diese äußerlich armen Menschen! Sie waren mit einem Kinde beglückt worden, der Frucht ihrer Liebe und ihres Blutesj die alles Verlassene und Verlorene tausendfach aufwog und ihrem Leben und Leiden den tiefen ewigen Sinn verlieh.

Es drängte uns, die Flüchtlinge zu beschenken, aber wir hatten nicht einmal mehr einen Schluck schwarzen Kaffees in unseren Feldflaschen. Da stimmte Gerhard das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ an, ich fiel mit ein, und so brachten wir dem neugeborenen Kind das Weihnachtslied als Gabe dar, wie auch der Mutter und dem Vafter, die mit Freude und Wohlgefallen der schlichten, rührenden Melodie lauschten.

Das Lied beschenkte auch uns! Als wir so dastanden, den Stahlhelm auf dem Haupte, die Handgranaten hinter das Koppel gesteckt, das Gewehr zuhanden, da trat uns das Wunder des Lebens in seiner unsäglichen Schönheit entgegen. Das Kind, das das Leben weiterträgt! Das Kind, vor dem Dunkel und Tod zunichte werden, weil es heiliges Vermächtnis behütet und wieder den Kommenden vererbt.

Und der tiefe Sinn der Weihnacht, des Festes der Liebe und des Lichtes, offenbarte sich unseren sehnsüchtigen Herzen und eine große Ruhe und gläubige Zuversicht kehrte in uns zurück.

Wir sangen. Der heimliche Glanz und die Weise der uralten Nacht verschenkten sich uns in solchem Maße, daß wir in einer Wolke von Freude standen. Heimatliches erstrahlte! Ein goldener Klang erfüllte die Seele. Ein Kind war zur Welt gekommen, seine Ankunft durchglühte unser rauhes Kriegerherz mit milder Kraft. Das Böse und Grauenvolle der Welt war in dieser armen Hirtenhöhle fern, das Erlösende strahlte aus dem tiefen Geheimnis der Liebe und beglückte uns.

Als das Lied verklungen war, glitzerten zwei Tränen an den dunklen Wimpern der stillenden Mutter. Wir wünschten den Flüchtlingen viel Gutes, verabschiedeten uns und schritten schweigsam zum Kastell hinan. Vor dem Tore blickten wir noch einmal zur Höhle zurück. Ein großer, funkelnder Stern schwebte darüber und das Wunder der Menschwerdung erfüllte die stille Nacht.

„Es ist doch noch Weihnacht geworden“, sagte Gerhard, in seiner Stimme schwang die Rührung des Herzens.

„Ja“, antwortete ich, „uns ist ein schönes Gleichnis geschehen. Das Kind! Es hat uns wieder froh gemacht!“

Dann traten wir durch das alte Tor hinein.

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