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Stille Stunde in Lampersari

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Weihnachten in den Tropen — ich fand immer einen Widerspruch darin und etwas Gewolltes, zu eng war die Idee von Winter und Schnee mit unserem Weihnachtsgedanken verwoben. Und dies war die dritte Weihnacht seit der japanischen Besetzung. Die erste war noch im eigenen Heim, auf der Unternehmung, mit Mann und Kindern, treu der alten Tradition, aber so schwer von nahendem Abschied und kommendem Unheil. Die zweite interniert in der „wijk” in Malang, durch Stacheldraht getrennt von der Welt, keine Freiheit und doch kein Lager wie dieses hier, eine Weihnacht, die ich suchen wollte und doch nicht fand. Und jetzt sollte es Weihnacht sein in Lampersari. Und ich wollte sie nicht einmal mehr suchen. Es gab keine Kirche und keine Musik. Es gab keine Christbäume und nichts für die Kinder — und nur das kleine Stück Brot für den großen Hunger. Es gab kein Lieht in dieser Weihnacht, keines draußen und keines drinnen. Am liebsten Hätte ich zwei Tage weggewischt vom Kalender und vergessen, daß es diese Tage gab.

Und doch, es war Weihnacht an diesem Abend, am 24. Dezember 1944, im Frauenkonzentrationslager Lampersari in Java.

Am Nachmittag saßen ein paar von uns zusammen im Zimmer der alten Damen und jemand las den alten Bericht von jener Nacht in Bethlehem, von dem Licht, das aufgegangen war, von dem Stern, der in der Dunkelheit erglänzte. Da wurde mir auf einmal klar, daß man das Licht erst dann begreifen konnte, wenn man die Dunkelheit kannte. Mit den Kindern schmückte ich dann einen kleinen Tjemarazweig. (Tjemara ist ein auf Java wachsender Nadelbaum.) Aus dem Boden einer alten Konservenbüchse wurde ein silberner Stern. Wir deckten den steinernen Herd mit einer weißen Decke. Photos standen da, und ich zeichnete auf einen Schachteldeckel die Figuren von Maria und Josef, er stand und sie kniete. Dann kamen die Krippe und das Kind mit dem Strahlenkranz. Mit ein paar Buntstiften bemalten wir die Figuren und schnitten sie aus. Drei Kerzen, verschieden groß, fanden sich auch. Und dann waren wir fertig. Es war dunkel in meiner Küche, und wir zündeten die Kerzen an. Da stand die Krippe, so unbeholfen und einfach gezeichnet, doch lebend im flackernden Schein der Kerzen wie noch nie zuvor Krippenfiguren für mich gelebt hatten. Nacheinander kamen leise die alten Damen herein und unsere Nachbarinnen, die neben mir wohnten. Wir saßen eng nebeneinander auf den zwei Betten (die außer dem steinernen Herd unsere einzigen Möbel waren) und hatten die Augen auf die Krippe mit den Kerzen und dem Zweig gerichtet: da fingen die Kinder an zu singen. Stille Nacht, heilige Nacht und: Jesus, darf ich eine kleine Kerze sein und das Lied von den Hirten und alle Weihnachtslieder, die sie kannten, und die anderen sangen mit, die alten Damen mit ihren zerbrochenen Stimmen neben den helleren der Kinder.

Und es waren die Kinder, die immer wieder ein neues Lied wußten und nicht aufhören wollten. Es war ganz voll in unserer kleinen Küche, man hatte den Vorhang von der Türe weggezogen und stand schon auf dem Gang draußen, und stehend begann ein junges Mädchen, das „Ehre sei Gott in der Höhe” zu singen, mit einer klaren, weichen Stimme, sie sang es zweimal, dann gingen wir still auseinander.

Es war wirklich Weihnacht bei uns im Lager gewesen. Die Kinder lagen im Bett. Es war ein großer Friede über uns alle gekommen, ein stiller, tiefer, unerklärlicher Friede, so wie noch nie ein früheres Weihnachtsfest ihn hatte bringen können.

Weihnacht — es war ja nicht als Fest der Reichen gedacht, es war ja die alte Geschichte von der größten Armut und Entbehrung, von müden Menschen, die hungerten und froren und in deren Armut und Erniedrigung das Licht kam.

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