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Der Gang durch die Felder

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Eigentlich hatte in den Tagen vorher niemand im Dorf ein Wort darüber verloren. Jeder wußte es von den vergangenen Jahren her, sogar die Kinder hatten sich schon daran S gewöhnt, bevor sie noch selber mittun konnten: daß an jenem Samstagabend im Sommer der Felderumgang abgehalten wurde!

Die Sonne war schon längst hinab, ein leises Dämmern wob über den Friedhof und den kleinen Platz vor der hohen, schlanken Kirche. Als drinnen die Abendandacht zu Ende war, gingen die Alten und die Jungen ■ diesmal nicht gleich nach Hause. Sie standen noch zu kurzen Gesprächen herum. Die Frauen und Mädchen traten ein wenig später heraus und verhielten ebenfalls noch zögernd das Fortgehen.

„Ich mein, jetjzt wären wir soweit!“, tat endlich einer der Männer den Mund ein wenig lauter auf. Es wurde still in den kleinen Gruppen, und alle blickten auf den Sprecher.

„Und wer wird heut' voAeten?“ war sein zweites Wort. Alle lächelten und wußten, daß es doch wieder der Fragende selber tun würde. Dies war ihm Antwort genug. Und im langsamen Ausschreiten, indes der Zug sich allmählich formte, trat er als letzter in die Reihe der voranschreitenden Männer. „Gegrüßet seist du, Maria... !“

Seine Stimme hatte durch die allmählich • eindunkelnde Dorfstraße hinab den gleichen Klang, wie sie sein Vater und wohl auch sein Großvater schon gesprochen hatten, die auch Vorbeter gewesen waren. Die hellen Frauenstimmen und die dunkleren der Männer antworteten im Gleichmaß fast wie in einem einförmigen, ruhesamen Wechselgesang.

Während das letzte Haus an der Straße zurückblieb, und die Felder sich auftaten,schauten die Betenden noch einmal mit einem prüfenden Blick die Reihe entlang. Nein, kein Haus hatte sich vom Felderumgang ausgeschlossen, den die Dörfler nach einjm alten Brauch aus sich heraus veranstalteten ohne Geistlichen, Meßbuben und Kirchenfahne.

Wie ein gemeinsames abendliches Wandern war es, bei dem in einer stillen, einfachen Form Gott selber eingeladen wurde, mitzuschreiten und da und dort seine Hand segnend über die Felder, die Weiden und den Acker zu heben. Ach, die Burschen stießen sich manchmal an und sagten ein Wort, das nicht zum Gebet gehörte, die flinken Augen der Mägde wanderten rascher umher, als es das Schreiten auf dem schmalen Feldweg verfangte — doch als das hohe Korn langsam sirrend an ihren Wangen entlang strich, fanden sie alle wieder zurück zu dem Anruf des Vorbeters: „Daß der Herr uns die Früchte des Feldes segnen und erhalten möge!“

Feld um Feld glitt zurück hinter den Betenden. Langsam sank das Dorf hinter ihnen hinein in Dämmer und Nacht. In einer weiten Runde umschritten sie die kleine Gruppe der Häuser, die ihnen Heimat und Leben bedeutete. Am Weizen, am Hafer, am Kleefeld entlang streifte ihr Schritt. Zuweilen hob einer der Dörfler den Blick, dann sah er Stern um Stern herauffahren über das dunkle Himmelsgewölb, hinter dem die Unendlichkeit begann, die keinem mehr ganz faßbar war und von der wohl nur ein kleiner Schritt noch blieb bis zur Ewigkeit.

Ja, solche Gedanken erwachten manchem Jungen und Alten bei dem abendlichen Umgang. Und wenn sie wieder zurückfanden zu Nähe und Leben, dann sprachen sie inbrünstiger vielleicht als sonst am hellen Tag in der altgewohnten Kirche: „Vor Hagel und Ungewitter verschone uns, o Herr!“

An der drüberen Seite der Felder erreichten sie wieder das Dorf. Die Stimme der Beter hing noch wie leises Summen über dem hängenden Korn, und der Schwang der Schreitenden fing sich wieder in der sdimalen Gasse. Eine Stunde hatte der Umgang gewährt, das betende Wort war eins geworden mit dem Schreiten der Füße. —

So ist das Wandern des Bauern, denn das bloße Schauen und Genießen ist ihm fremd. Soll sein Geist sich heben über die Niedern des mühebeladenen Tages, so spricht er mit dem, in dessen Hand allein Wachstum und Gedeihen liegt. Mag die feste Form von Umgang und Feldbeten sich weiten zu Wallfahrt und Wandern zu schönen Stätten der Heimat — wahrhaft gestärkt und erhoben wird er nur heimkehren zu Dorf und Arbeit, wenn sein Ausschreiten im tiefsten immef über das bloße Bildhafte der Natur hinausführt zu Ihm, der lautlos und ehern hinter allem Sichtbaren wirkt und waltet. —

Spät noch einmal durch das offen wartende Kirchentor eintretend, schlössen die Dörfler den Kreis des abendlichen Felderumgangs. Nur die stille Flamme des Ewigen Lichtes leuchtete noch zu den letzten Bitten der Anrufenden. Zuletzt sdi wiegen alle, erhoben sich nach einer Weile und traten aufatmend und im Tieferen froh aus der Kirche.

Und daheim traten sie in das schlafende Haus, wie heimkehrend von einer kleinen, innigen Reise ,..

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